Weingartner, (Paul) Felix (Edler von Münzberg)

* 2.6.1863 Zara/Dalmatien (Zadar/HR), † 7.5.1942 Winterthur, Zürich/CH. Dirigent, Komponist und Schriftsteller.

Ersten Klavierunterricht erhielt er von der Mutter, mit der er nach dem Tod des Vaters 1868 nach Graz zog. Hier studierte er neben dem Gymnasium Klavier und Komposition bei Wilhelm Mayer-Rémy (1831–1898). 1881–1883 studierte er in Leipzig Philosophie sowie am Konservatorium bei Carl Reinecke (1824–1910) Klavier und Komposition, bei Salomon Jadassohn (1831–1902) Kontrapunkt und bei Oscar Paul (1836–1898) Dirigieren. 1882 begegnete er in Bayreuth Franz Liszt, der sein Gönner wurde und u. a. die Uraufführung von Weingartners Oper Sakuntala ermöglichte. 1884 erstes Engagement in Königsberg (Kaliningrad/RUS), weitere Stationen waren Danzig, Hamburg und Mannheim. 1891–1898 Kapellmeister an der Königlichen Oper und 1891–1907 Leitung der Symphoniekonzerte der Königlichen Kapelle in Berlin, 1898–1903 Dirigent der Kaim-Konzerte in München. 1908–1911 als Nachfolger Gustav Mahlers Direktor der Wiener Hofoper und bis 1927 Leiter der Philharmonischen Konzerte. 1904 Debüt in Amerika beim New York Philharmonic Orchestra, 1912–1914 ständiger Gastdirigent in Hamburg und Boston. 1914–1919 Generalmusikdirektor in Darmstadt, 1919–1924 Direktor der Wiener Volksoper. 1919 Tournee durch Südamerika, wohin ihn auch Gastspiele mit den Wiener Philharmonikern 1922 und 1923 führten. 1926 Professor an der Franz-Liszt-Akademie in Budapest, 1927–1933 Direktor des Konservatoriums und Musikdirektor der Allgemeinen Musikgesellschaft in Basel. 1935/36 nochmals Direktor der Wiener Staatsoper, wegen Auseinandersetzungen mit dem Orchester aber rasche Demissionierung.

Der hochgebildete, souveräne Dirigent, der menschlich als schwierig galt und sich selbst eher als Komponist sah (sein Œuvre umfasst mehr als 100 Werke aller Gattungen), war ein international gefeierter Künstler, der vor allem als Interpret der Symphonien Ludwig van Beethovens berühmt wurde.

Wie Weingartner in seinen Lebenserinnerungen berichtet, war er erstmals 1885 mit Bruckners Musik in Berührung gekommen, als Felix Mottl in Karlsruhe die Aufführung des Adagio aus der Siebenten Symphonie leitete, für Weingartner der schönste aller Bruckner‘schen Sätze (Weingartner Bd. 1, S. 233). 1886 kam es zu einer persönlichen Begegnung in Bayreuth, von der Weingartner unangenehm berührt war, weil er beim Besuch von Richard Wagners Grab erlebte, wie Bruckner lautstark einem bewachenden Diener auftrug, den Damen in Wahnfried vom Erfolg einer seiner Symphonien zu berichten (Weingartner Bd. 1, S. 198). Der negative Eindruck dieses Erlebnisses verlor sich bei Weingartner erst allmählich.

Als Hermann Levi 1890 sich nicht zur Aufführung der Achten Symphonie durchringen konnte, empfahl er Bruckner seinen Schützling Weingartner in Mannheim, der ein „durchaus zuverlässiger Mensch und mir treu ergeben“ sei (Briefe II, 900920). Daraufhin trat Bruckner mit Weingartner in Verbindung, übersandte ihm die Partitur und teilte ihm unter anderem das bekannte „Programm“ der Achten mit (Briefe II, 910127/2). Weingartner schrieb an Levi, er finde die ersten drei Sätze „ausgezeichnet“, der 4. schien ihm „etwas ‚wüscht‘“ (Briefe II, 910213), doch wolle er vor dem Anhören nicht urteilen. Als sich Schwierigkeiten mit der zu kleinen Orchesterbesetzung in Mannheim zeigten, war Bruckner durchaus zu Konzessionen bereit; er autorisierte Weingartner für die Aufführung sogar zu Änderungen in der Instrumentation. Am 9.4.1891 teilte Weingartner Bruckner nach monatelangem Warten mit, er könne die Symphonie nicht mehr aufführen, weil er nach Berlin berufen worden sei, versprach aber, dort „baldmöglichst“ ein Werk Bruckners aufzuführen. Seine Schilderung der schwierigen Probenarbeit lässt vermuten, dass er selbst Zweifel an der Eignung des Mannheimer Orchesters hatte, v. a. wegen Schwierigkeiten mit den Bläsern, für die man Militärmusiker als Verstärkung geholt hatte, „ohne ein vernünftiges Blasen erzielen zu können“ (Briefe II, 910409). Bruckner schrieb dazu an Levi: „Ich gedachte die Aufführung nur Ihnen zu, ja nie dem kleinen Orchester mit den Militärtuben!!! und dem für mich bedenklichen H. Weingartner in Mannheim. [...] Froh bin ich, daß ich von Mannheim erlöst bin“ (Briefe II, 910422). Er meinte auch, die Symphonie habe Weingartner „nicht gefallen, oder schlecht geklungen“ (Briefe II, 910418). Mit der versprochenen Aufführung einer Symphonie in Berlin dauerte es bis zur (von der Kritik nicht besonders gut aufgenommenen) Präsentation der „durch Striche arg verstümmelt[en]“ (Göll.-A. 4/3, S. 507) Vierten am 9.3.1895, Weingartners einziger Aufführung eines Werkes von Bruckner zu dessen Lebzeiten.

In seinen Lebenserinnerungen bekennt Weingartner freimütig, „dass ich zur Gesamterscheinung Bruckners nie Stellung finden konnte. Hier ein wunderbarer Rumpf, dort ein Arm, ein Bein, ein Kopf, jedes wertvoll in seiner Art. Wie kommen aber alle diese Trümmer dazu, zu viersätzigen Riesensymphonien zusammengeschweisst zu werden, die Klumpen sind, aber keine organischen Gebilde? Ausserdem sieht eine Symphonie der anderen zum Verwechseln ähnlich“. Mit „besonderer Freude“ nehme er zur Kenntnis, dass er von Freunden Bruckners als dessen Interpret nicht geschätzt werde: „Wo ich nicht aufrichtig mitgehen kann, wird auch meine Leistungsfähigkeit sich nicht restlos entwickeln können. […] Der Ruhm, grosse Bruckner-Interpreten zu sein, bleibe darum ein für allemal neidlos denen überlassen, die etwas anderes in diesen Werken zu erkennen glauben, als ich darin zu finden imstande bin“ (Bd. 1, 233f.)

Während seines 19-jährigen Wirkens bei den Wiener Philharmonikern dirigierte Weingartner insgesamt neun Bruckner-Aufführungen, aber „im Grunde engagierte sich Weingartner nur für Beethoven und Brahms“ (Hellsberg, S. 367; 89 der 423 von ihm geleiteten Aufführungen galten Beethoven).

Werke
  • Opern
  • 7 Symphonien
  • Symphonische Dichtungen
  • Kammermusik
  • Klaviermusik
  • Lieder
Schriften
  • Ueber das Dirigiren. Berlin 1896
  • Die Symphonie nach Beethoven. Leipzig 1909
  • Erlebnisse eines „Königlichen Kapellmeisters“ in Berlin. Berlin 1912
  • Carl Spitteler. Ein künstlerisches Erlebnis. München 1913
  • Eine Künstlerfahrt nach Südamerika. Wien–Leipzig 1921
  • Lebenserinnerungen. 2 Bde. Wien 1923
  • Unwirkliches und Wirkliches. Märchen, Essays, Vorträge. Wien 1936
Literatur

THEOPHIL ANTONICEK, INGRID FUCHS

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 5.3.2019

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