Mannheim

Die heutige Universitätsstadt ist die drittgrößte Metropole des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg, bis 1778 Residenzstadt der Kurpfalz. Sie weist mit Wolfgang Amadeus Mozart und Richard Wagner eine seit Ende des 18. Jahrhunderts andauernde Musiktradition durch Orchester und Bühne des Nationaltheaters auf. 1895: ca. 100.000, 2019: ca. 309.000 EW.

Bruckner war nie in Mannheim. 1887 bot er dem Dirigenten Hermann Levi die Achte Symphonie zur Uraufführung an. Dieser gab die Aufgabe jedoch an den damaligen Mannheimer Hofkapellmeister Felix Weingartner weiter. Die Proben begannen erst im März 1891 mit einem für ein solches Werk unterbesetzten Orchester. Als Weingartner kurzfristig nach Berlin berufen wurde, wurde die Aufführung abgesetzt. Die Symphonie erklang schließlich in der umgearbeiteten Fassung erstmals am 18.12.1892 in Wien mit den Wiener Philharmonikern unter Hans Richter. Weingartner mag sein Wechsel nach Berlin nicht ganz ungelegen gekommen sein, teilte er doch Bruckner zugleich mit seinem Bedauern über die abgesetzte Aufführung mit, dass das Mannheimer Orchester „nicht ganz die erwünschte Wirkung gemacht hätte“ (Briefe II, 910409). Es hätten auch keine Tuben zur Verfügung gestanden. Bruckner war sehr enttäuscht und schrieb an Levi, dass er die Achte nie dem für Bruckner „bedenklichen H. Weingartner“ zugedacht habe und „froh“ sei, „von Mannheim erlöst“ zu sein (Briefe II, 910422).

Die Stadt und das hochgelobte Nationaltheater-Orchester im Großherzogtum Baden (bis 1918) spielten seit Ende des 19. Jahrhunderts für die Bruckner-Rezeption, insbesondere für die Symphonik, eine wichtige Rolle: Als erstes Werk Bruckners in Baden überhaupt erklang am 10.12.1881 in Karlsruhe die Vierte Symphonie, also im Jahr der Wiener Uraufführung.

In Mannheim waren ab 1895 bis zum Zweiten Weltkrieg alle neun Symphonien wiederholt zu hören: die Erste als Erstaufführung am 9.11.1897 (Emil Nikolaus von Rezniček [1860–1945]); die Zweite am 3.2.1914 (Felix Lederer [1877–1957]); die Dritte als Erstaufführung in Baden 18.11.1902 (Willibald Kaehler [1866–1938]), 6.11.1923 (Richard Lert [1885–1980]), 10.3.1927 (Hermann Abendroth); die Vierte als Erstaufführung am 15.1.1895, 17.10.1905, 7.12.1909 (Arthur Bodanzky [1877–1938]), 16.11.1915 (Wilhelm Furtwängler), 21.2.1922 (Franz von Hoeßlin [1885–1946]), 13.10.1925 (Lert), 14.12.1928 (Max Sinzheimer [1894–1977]); die Fünfte als sehr frühe Erstaufführung am 29.11.1898 (Rezniček), 31.1.1905 (Kaehler), 21.2.1911 (Bodanzky), 9.12.1919 (Furtwängler); die Sechste als Erstaufführung am 18.2.1913 (Bodanzky); die Siebente am 20.2.1900 (Kaehler), 11.1. und 12.1.1921 (Hoeßlin), 28.10.1924 und 9.10.1925 (Lert); die Achte als Erstaufführung am 8.1.1901 (Kaehler), 4.3.1902 (Kaehler), 1.6.1907 beim Musikfest zum 300-Jahr Stadtjubiläum (Ferdinand Löwe), 6.11.1917 (Furtwängler), 8.3.1928 als Veranstaltung des Bühnenvolksbundes (Abendroth); die Neunte als Erstaufführung am 15.3.1904 (Kaehler), 10.12.1907 und 16.3.1909 (Hermann Kutzschbach [1875–1938]), 15.10.1918 (Furtwängler), 10.4.1923 (Erich Kleiber). Weitere Symphonien wurden in Konzerten des Bühnenvolksbundes (Arnold Schattschneider [1869–1930]) aufgeführt.

Am 13.4.1903 fand beim Musikfest Mannheim eine vielbeachtete Aufführung des Te Deum unter Felix Mottl zur Einweihung des Nibelungensaals im Rosengarten statt, möglicherweise auch eine Wiedergabe der Messe in f-Moll (Grüninger, S. 37). 1926 erklang die Messe in d-Moll während eines Gottesdienstes in der Heilig-Geist-Kirche. Am 17.1.1909 führte der Mannheimer „Sängerbund“ im Jubiläumskonzert den Germanenzug (mit Harmonie-Begleitung) auf.

In Verbindung mit der Gründung von Brucknerbünden seit 1926 (Gründungsversammlung des Badischen Brucknerbundes am 9.6.1926 in Freiburg im Breisgau) wurde im April 1934 das 3. Badische Bruckner-Fest (Brucknerfeste und -feiern) nach Mannheim geholt mit Aufführungen der Siebenten (Ernst Cremer [1891–1970]) und Achten Symphonie (Siegmund von Hausegger), der Ouvertüre in g-Moll, dem 7-stimmigen Ave Maria (WAB 6) und Christus factus est (Fritz Schmidt [1897–1977]), der Messe in f-Moll (Philipp Wüst [1894–1975]) und des Streichquintetts in F-Dur (Kergl-Quartett Mannheim, Josef Imhof). War dieses Regionalfest bereits stark vom „Werk eines wahrhaft deutschen Musikers“ und „wahrhaft innerlich deutsche[r] Kunst“ geprägt (Hunek, S. 316), so stand im Oktober/November 1938 das Deutsche Bruckner-Fest gänzlich unter nationalsozialistischen Vorzeichen, bei dem von der „Befreiung Bruckners von ‚jüdisch-liberaler‘ Unterdrückung“, bezogen auf seine eigene Um- und Bearbeitungspraxis (Brüstle 1996, S. 197; Arbeitsweise und Schaffensprozess, Metrik, metrische Ziffern), die Rede war.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bruckner-Tradition in der Kurpfalz durch verschiedene Chorvereinigungen sowie das Nationaltheater-Orchester (Akademiekonzerte unter Fritz Rieger [1910–1978], Herbert Albert [1903–1973], Horst Stein [1928–2008], Hans Wallat [1929–2014], Jun Märkl [* 1959], Ádám Fischer [* 1949] u. a.) erfolgreich weitergeführt. Im 21. Jahrhundert sind noch zwei Aufführungen der Neunten Symphonie mit unterschiedlichen Finale-Fassungen zu erwähnen: 2006 mit dem Symphonieorchester der Musikhochschule Mannheim unter Klaus Arp (1950–2016; Rekonstruktion von Nors S. Josephson), 2008 mit dem Nationaltheater-Orchester unter Friedemann Layer (1941–2019; nach den Manuskripten von Samale/Phillips/Cohrs/Mazzuca).

Literatur

HERMANN JUNG

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 7.9.2020

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