Breslau (Wrocław)

Stadt in Schlesien an der Oder. Ab 1368 Mitglied der Handelsvereinigung Hanse, ab 1741 unter preußischer Verwaltung. Im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, kam Breslau 1945 wieder zu Polen. Im 19. Jahrhundert war Breslau eine Zeitlang die drittgrößte deutsche Stadt (nach Berlin und Hamburg). 1852: 121.100; 1880: 272.900; 2019: ca. 641.000 EW.

Im 19. und in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Breslau zu einem bedeutenden Kulturzentrum Mitteleuropas. Die Musik war ein wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts sind Konzerte mit symphonischer Musik und Aufführungen großer Oratorien bezeugt. Seit 1913 besitzt Breslau die Jahrhunderthalle (mit 6.000 Sitzplätzen), die zur damaligen Zeit über die größte Konzertorgel der Welt verfügte. Das Musikschulwesen entwickelte sich in Breslau rege, es entstanden zahlreiche Einrichtungen, die sich auf Gesang-, Geigen-, Orgel- oder Klavierunterricht spezialisierten. Zu Beginn der 1880er Jahre wurden das Breslauer Konservatorium und das Schlesische Konservatorium gegründet. Seit 1909 ist das Fach Musikwissenschaft an der Universität vertreten, erstmals gelehrt an der Technischen Hochschule durch Hermann Matzke (1890–1976), der 1924 das Collegium Musicum gründete und dessen Repertoire u. a. Werke von Bruckner (Erinnerung in der Bearbeitung für einstimmigen Männerchor und Kammerorchester) umfasste. Matzke leitete das Archiv für Musikwirtschaft und Musiktechnik, in dessen Bestand sich u. a. Schallplatten mit Symphonien Bruckners befanden.

1862 gründete Leopold Damrosch (1832–1885) den Breslauer Orchesterverein, der innerhalb Schlesiens eine Spitzenstellung besaß. Unter den Leitern des Orchestervereins ragt Rafał Maszkowski (1838–1901) heraus, der in seiner Amtszeit (1890–1901) Bruckners Werke ins Konzertprogramm aufnahm: 1893 das Adagio aus der Siebenten Symphonie, 1896 den 1. Satz der Vierten Symphonie und 1899 die Dritte Symphonie. 1928 wurde das Orchester in Schlesische Philharmonie umbenannt. 1935/36 leitete Franz von Hoesslin (1885–1946) das Orchester, der vor allem durch seine Beethoven- und Bruckner-Aufführungen in Breslau sehr geschätzt wurde (u. a. 1933 die Siebente Symphonie).

In der Zeit nach 1800 entwickelte sich auch das Chorwesen intensiv weiter. Das Repertoire der 1825 gegründeten Breslauer Singakademie, die oft mit dem Breslauer Orchesterverein konzertierte, umfasste Werke von Bruckner, u. a. den Psalm 150 (1911, 1923), das Te Deum (1901, 1906, 1923), die Messe in e‑Moll (1916, 1932) und die Messe in f‑Moll (1918, 1923).

Eine ganz ähnliche Entwicklung gab es auf dem Gebiet der Gesangvereine. Ein hohes Niveau hielt sich hier bis zur 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hervorzuheben ist der Spitzer‘sche Gesangverein (gemischter Chor und Orchester), der folgende Werke Bruckners aufführte: Messe in f‑Moll (1931, 1940, 1944), Germanenzug, Helgoland (1910), Trösterin Musik (das letztgenannte Werk gemeinsam mit dem Breslauer Lehrergesangverein am 4.5.1926).

Von den in Breslau wirkenden Kirchenmusikern pflegte vor allem Peter Blaschke (1885–1969) im Dom ein imponierendes Repertoire. So führte er in seiner Amtszeit (1925–1945) das Ecce sacerdos, mehrere Motetten (z. B. Christus factus est, Os justi, Ave Maria) und 1937 die Messe in e‑Moll mit Orgelbegleitung auf.

1924 wurde der erste Rundfunksender in Breslau eröffnet, der 1932 Bruckners Messe in e‑Moll übertrug. Seit 1929 verfügte der Rundfunk über einen Funkchor, der 1940 im Musiksaal der Universität das 7‑stimmige Ave Maria (WAB 6) von Bruckner sang. Am 2. und 3.7.1927 fand in Breslau das Schlesische Kreissängerfest statt; es wurde u. a. Trösterin Musik von Bruckner gesungen.

Nach 1945 begann der Aufbau eines polnischen Musiklebens in Breslau. Die Witold Lutosławski Philharmonie ist das wichtigste musikalische Zentrum der Stadt. In den Konzertprogrammen finden sich auch Werke von Bruckner (1973 wurde die Vierte Symphonie unter der Leitung von Tadeusz Strugała [* 1935] aufgeführt; oft waren die Symphonien Bruckners unter der Leitung von Marek Pijarowski [* 1951] in den Jahren 1980–2001 zu hören).

In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wirkten in Breslau zahlreiche Chöre (z. B. Cantores Minores Wratislavienses), die in ihren Repertoires u. a. Werke Bruckners hatten: Te Deum (1983, 1990), Messe in C‑Dur, Ave Maria und weitere Motetten. Bruckners Werke werden auch im Rahmen des seit 1966 stattfindenden internationalen Oratorien- und Kantatenfestivals Wratislavia Cantans präsentiert.

Literatur
  • Rezensionen in Breslauer Zeitung und Schlesischer Zeitung
  • Norbert Linke (Red.), Musik in Schlesien im Zeichen der Romantik. Dülmen 1981
  • Gerhard Scheuermann (Hg.), Das Breslau-Lexikon. Dülmen 1994
  • Andrzej Wolanski u. a., Art. „Breslau“, in: MGG²Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. 29 Bde. (Sach- und Personenteil). 2. neubearb. Ausgabe. Kassel u. a. 1994–2008 2 (1995), Sp. 147–161
  • Remigiusz Pośpiech/Piotr Tarliński (Hg.), Kształcenie muzyków kościelnych na Śląsku. Opole 1997
  • Krzysztof Popiński: Życie muzyczne i teatralne Wrocławia przełomu XIX i XX wieku w świetle „Schlesische Zeitung“, in: Rocznik Wrocławski Nr. 3 (1996), S. 239–251
  • Jan Harasimowicz (Hg.), Encyklopedia Wrocławia. Wrocław 2000
  • Ludwig Hoffmann-Erbrecht (Hg.), Schlesisches Musiklexikon. Augsburg 2001
  • Stefan Bednarek (Hg.), Życie kulturalne we Wrocławiu. Wrocław 2001
  • Maria Zwierz (Hg.), Wrocławskie szkoły. Historia i architektura. Wrocław 2004
  • Doreta Kanafa/Maria Zduniak (Hg.), Rafał Maszkowski (1838–1901). Tradycje śląskiej kultury muzycznej. Wrocław 2005
  • Teresa Brodniewicz (Hg.), Muzyka i jej konteksty. Poznań 2005
  • Joanna Subel, Wrocławska chóralistyka 1945–2000. Wrocław 2005
  • Joanna Subel, Wrocławska chóralistyka: 1817–1944. Wrocław 2008

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Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 1.7.2020

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