Ouvertüre in g‑Moll (WAB 98)

Piccolo-Fl., Fl., 2 Ob., 2 Klar., 2 Fg., 2 Hr., 2 Trp., 3 Pos., Pk., Str.

„Introduction: Adagio [Allegro non troppo]“

EZ: 18.11.1862–4.1.1863 in Linz; Überarbeitung 6.1.–22.1.1863
UA: 8.9.1921 in Klosterneuburg (Klosterneuburger Philharmonie; Franz Moißl)
Aut.: Stift Kremsmünster (C56/5); ÖNB‑MS (Mus.Hs.44706, Kitzler-Studienbuch, Skizzen)
ED: Universal Edition, Wien 1921 (Alfred Orel, Anhang zu Unbekannte Frühwerke Anton Bruckners)
NGA: Band XII/5 mit Revisionsbericht (Hans Jancik/Rüdiger Bornhöft, 1996)

Die Ouvertüre in g‑Moll, die zu den Aufgaben Bruckners im Rahmen seiner Ausbildung bei Otto Kitzler gehört, ist ein Übungsstück auf fortgeschrittenem Niveau und entstand zur Zeit der Vorbereitungen Kitzlers auf die von ihm geleitete Tannhäuser-Erstaufführung in Linz (13.2.1863). Ging es bei den unmittelbar vorangehenden Aufgaben (Drei Orchesterstücke) besonders um den Erwerb instrumentatorischer Fertigkeiten (Instrumentation), so war hier sicherlich die formale Seite des kompositorischen Handwerks das Hauptanliegen.

Die Komposition folgt der gängigen Ouvertüren-Form, bestehend aus einer langsamen Einleitung (T. 1–22) und einem Sonatensatz (Exposition T. 23–132 ohne Wiederholung, Durchführung T. 133–191, Reprise und Coda T. 192 bis Schluss). Punktuelle Einflüsse von Carl Maria von Weber (1786–1826), Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann sind erkennbar. Die Thematik und ihre Gestaltungsweise sind grundsätzlich klassisch gehalten, mit intensiver Ausnützung der einleitenden, durch Vorhalte charakterisierten Solophrase der Violoncelli sowohl in den Überleitungspartien der folgenden Exposition als auch – in abgeleiteter Form (mittels freier Umkehrung) – in der Gestaltung des Seitenthemas. Die recht knappe Durchführung, die ausschließlich das konventionelle Allegro-Hauptthema verarbeitet, zeigt bereits Bruckners spätere Vorliebe für einen eher ruhigen Mittelteil der Sonatenhauptsatzform, unter Verwendung von melodischer Umkehrungstechnik. Während die Reprise in gekürzter Form erscheint, ist die Coda hingegen groß dimensioniert. Der Schlussabschnitt der Ouvertüre in g‑Moll erhebt sich, bevor er in eine romantisch gefärbte, nach G‑Dur gewendete Apotheose mündet, zu einem Pathos, das bereits auf den späteren Bruckner vorausweist. Ebenso typisch erscheinen die hinsichtlich Tempo und Dynamik zurückgenommene Themen-Reminiszenz vor dem Einsatz der Coda und die aus dem Hauptthema entlehnte Quart-Motivik in den letzten Tutti-Takten (vgl. Steinbeck, S. 115).

Die Bedeutung des Werkes für die Entfaltung der musikalischen Persönlichkeit Bruckners äußert sich nicht nur im handwerklichen Gehalt, sondern lässt sich auch daraus ermessen, dass der Komponist sofort nach Kitzlers kritischer Einsicht seine ursprüngliche Niederschrift im Sinne einer Straffung im Schlussabschnitt veränderte. Die NGA gibt in beide „Fassungen“ Einsicht.

Franz Moißl, der verdienstvolle Bruckner-Pionier, brachte das Frühwerk im Jubiläumsjahr 1921 in Klosterneuburg zur Uraufführung. Josef Venantius von Wöss sprach in der Musica Divina überschwänglich von einem „klangfrohen ‚jungen Bruckner‘“; das Werk „zeige eine solche Fülle von Prägnanz und Plastik des Ausdruckes und der Stimmung, solch blühende Erfindung und feine Kontrapunktik, daß es gewiß seinen Weg in die künftigen Konzertprogramme finden wird“ (Musica Divina 9 [1921] H. 9/10, S. 79). Noch im gleichen Jahr fand die deutsche Erstaufführung mit den Münchner Philharmonikern unter Frederick Charles Adler (1889–1959) statt. Insgesamt wurde die Ouvertüre in g‑Moll vom Publikum als interessantes „vorsymphonisches“ Werk (Symphonien) Bruckners aufgenommen. In der Folgezeit erklang sie in verschiedenen Ländern als Neuheit. 1937 folgte eine Einspielung unter Henry Wood (1869–1944) mit dem Queen‘s Hall Orchestra in London. 1963 war sie in Japan erstmals im Konzertsaal zu hören. Heute ist sie eine Rarität auf den Konzertprogrammen.

Literatur

BO MARSCHNER, ERICH WOLFGANG PARTSCH

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 20.6.2017

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Erstdruck

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ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft