Haas, Robert (Maria)

* 15.8.1886 Prag/Böhmen (Praha/CZ), † 4.10.1960 Wien/A. Musikforscher und -bibliothekar.

Nach dem Studium der Musikwissenschaft in Prag, Berlin und Wien (dort Assistent Guido Adlers, Promotion 1908 in Prag, 1923 Habilitation und 1929 Ernennung zum ao. Professor an der Universität Wien) wirkte Haas zunächst als Kapellmeister bzw. Korrepetitor in Münster, Erfurt, Konstanz und Dresden, ab 1914 als Wissenschaftler in Wien (Sekretär des Corpus scriptorum de musica medii aevi und bis 1916 der Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Österreich). 1918 wurde er zunächst Mitarbeiter der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), 1920–1945 war er deren Leiter. Er widmete sich als Mitinitiator und -herausgeber der Gesamtausgabe von Bruckners Werken (zusammen mit Alfred Orel) und gilt als einer der wichtigsten Bruckner-Forscher. 1927 wurde er zudem Kurator des von Anthony van Hoboken (1887–1983) gewidmeten Meisterarchivs der ÖNB. Sein darüber hinaus weitgespanntes Forschungs- und Publikationsgebiet reichte von Claudio Monteverdi (1567–1643) bis Hugo Wolf. Auch als Komponist trat er an die Öffentlichkeit. Sein Nachlass befindet sich in der Musiksammlung der ÖNB.

Haas, schon seit 1933 Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) – führertreue und antisemitische Äußerungen sind von ihm überliefert, im Oktober 1933 wurde ihm sogar die Ausreise zum Brucknerfest nach München verweigert –, verlor nach dem Zweiten Weltkrieg seine Ämter und erhielt auch später keine Lehrbefugnis mehr. 1958 wurde dies noch mit einer „Wechselwirkung von Zeitverhältnissen und schwacher Gesundheit“ des „wenig ,diplomatischen‘“ (Reichert, S. 428, 430) Menschen umschrieben.

Zur stilgeschichtlichen Einordnung des Gesamtschaffens Bruckners und dessen Interpretation auf musikanalytischer Basis hat Haas zusammen mit Orel und Ernst Kurth eine Grundlage geschaffen, auf die bis heute immer wieder zurückgegriffen wird. Seine manchmal eigenwillige, philologisch-textkritisch aber immer um Sorgfalt bemühte Herausgebertätigkeit hat wesentliche Voraussetzungen zur Erkenntnis der Arbeitsweise Bruckners geliefert. Zu einer Zeit, als viele Bruckner-Forscher sich immer mehr mystisch-irrationaler Konstruktionen bedienten, leistete Haas – nicht immer ohne Kritik von z. B. Franz Schalk und dessen Freundeskreis – Pionierarbeit in der Erforschung und Publikation der sogenannten Originalfassungen, hat sich allerdings während des Nationalsozialismus nicht vom offiziell diktierten Bruckner-Bild (Rezeption) distanziert (vgl. die Einführungen in den Studienpartituren zur Achten Symphonie aus den Jahren 1939 [Musikwissenschaftlicher Verlag, damals noch in Leipzig] und 1949 [Bruckner-Verlag Wiesbaden]). Haas, der 1930 als erste Veröffentlichung (Band 15) der (sog. Alten) Gesamtausgabe (AGA) die Missa solemnis zusammen mit dem Requiem in d-Moll (WAB 39) herausgab, betreute auch die meisten folgenden Bände, 1934–1944 als Editionsleiter der AGA (zunächst eher widerwillig mit dem von ihm als unzuverlässig bezeichneten Orel, später mit Leopold Nowak). Von Haas‘ Praxis, bei der Edition von Symphonien Bruckners oft die überlieferten Fassungen zu vermischen, um Bruckners „letzten Willen“, wie Haas ihn verstand, wiederzugeben, ist dann Nowak mit Recht wieder abgekommen, der, seit 1951 mit der Neuen Gesamtausgabe (NGA) betraut, alle Fassungen separat herausgab. Haas‘ grundlegende Bruckner-Monografie (1934; Biografien) ist auch heute noch und nicht nur für Wissenschaftler ergiebig (weitere Arbeiten über Bruckner vgl. Bruckner-Bibliographie).

Werke

• Kammermusik
• Klavierwerke
• Lieder

Schriften

• Das Wiener Singspiel. Diss. Prag 1908
• Die Estensischen Musikalien. Thematisches Verzeichnis mit Einleitung. Regensburg 1924
• Gluck und Durazzo im Burgtheater. Die Opera Comique in Wien (Almathea-Bücherei 45). Zürich–Wien 1925
• Wiener Musiker vor und um Beethoven. Wien 1927
• Die Musik des Barocks (Handbuch der Musikwissenschaft 5). Wildpark-Potsdam 1928
• Aufführungspraxis der Musik. Potsdam 1931
• Anton Bruckner (Die großen Meister der Musik 11). Potsdam 1934
• Bach und Mozart in Wien. Wien 1951
• (Hg.), Anton Bruckner. Sämtliche Werke (AGAAnton Bruckner. Sämtliche Werke. Kritische Gesamtausgabe. (Wechselnde Herausgeber). Wien u. a. 1930–1944. [= Alte Gesamtausgabe])
• Hg. mehrerer Bände der Reihe Publikationen der Gesellschaft zur Herausgabe der Denkmäler der Tonkunst in Österreich (DTÖ)

Literatur

• Hellmut Federhofer, Art. „Haas, Robert Maria“, in: MGG¹Friedrich Blume (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. 17 Bde. Kassel u. a. 1949–1986 5 (1956), Sp. 1183f.
• Georg Reichert, Robert Haas, in: ÖMZÖsterreichische Musikzeitschrift. Wien 1946ff. 13 (1958) H. 10, S. 428ff.
• RiemannHugo Riemann, Musik-Lexikon (Riemann Musik Lexikon). 1.-12. Aufl. Mainz 1882-1975 1959, S. 708
• Leopold Nowak, Robert Haas zum Gedächtnis, in: Die Musikforschung 14 (1961) H. 1, S. 10ff.
• Leopold Nowak, Die Anton Bruckner-Gesamtausgabe. Ihre Geschichte und Schicksale, in: Bruckner-JahrbuchBruckner-Jahrbuch. (Wechselnde Herausgeber). Linz 1980ff. 1982/83, S. 33–67
• Bruckner-Bibliographie IRenate Grasberger, Bruckner-Bibliographie (bis 1974) (Anton Bruckner. Dokumente und Studien 4). Graz 1985
• Anna Amalie Abert/Benjamin Korstvedt, Art. „Haas, Robert (Maria)“, in: NGroveD²Stanley Sadie (Hg.), The New Grove Dictionary of Music and Musicians. 29 Bde. 2. Ausgabe. London 2001 10 (2001), S. 629f.
• Harald Haslmayr, Art. „Haas, Robert Maria“, in: MGG²Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. 29 Bde. (Sach- und Personenteil). 2. neubearb. Ausgabe. Kassel u. a. 1994–2008 8 (2002), Sp. 344f.
• ABCD
• Uwe Harten, Art. „Haas, Robert Maria“, in: www.musiklexikon.ac.at [8.4.2019]