Frauen

Wie zu erwarten, rankt sich um dieses Kapitel von Bruckners Biografie ein dichter Kranz von belletristischer Literatur, die den eklatanten Mangel an greifbaren Dokumenten durch Spekulationen auszugleichen sucht.

Für Bruckners Haltung gegenüber dem Weiblichen ist – so dürfen wir mit Sicherheit annehmen – zunächst die intensive und gute Beziehung zu seiner Mutter Theresia (Bruckner, Familie) sehr prägend gewesen. Für ein Landkind des 19. Jahrhunderts keineswegs außergewöhnlich war das Miterleben häufiger Schwangerschaften und Geburten (die selbstverständlich zu Hause stattfanden) und fast ebenso häufiger Todesfälle, da die Kindersterblichkeit außerordentlich hoch war. Diese frühkindlichen Erfahrungen trugen gewiss, zusammen mit dem religiös geforderten Umgang mit der Sexualität einerseits, ihrer im 19. Jahrhundert besonders starken gesellschaftlichen Tabuisierung andererseits sowie dem Aufwachsen im klösterlichen Umfeld ab dem 13. Lebensjahr dazu bei, dass Bruckners Umgang mit dem anderen Geschlecht zeitlebens kompliziert und vielschichtig blieb und viele verschiedene Facetten – von der Suche nach einer „guten Partie“, nach einer tüchtig wirtschaftenden Hausfrau bis hin zum ganz im Dienste der schöpferischen Kreativität stehenden Anschwärmen einer Muse – aufwies, jedoch nie zu einer wirklich persönlichen zwischenmenschlichen Beziehung reifen konnte.

In seinen jungen Jahren dürfte sich Bruckner jedoch zunächst noch in nichts von anderen jungen Leuten seiner Generation unterschieden haben: Er liebte Geselligkeit und Tanz und seine Aufmerksamkeit fiel schon bald auf die hübschen Mädchen seiner Umgebung. Seine erste „richtige Flamme“ war Aloisia Bogner (Luise genannt), die Tochter des Schulmeisters Michael Bogner in St. Florian (die vorausliegende Widmung der „Windhaager“ Messe in C‑Dur als Ausdruck der Zuneigung an Maria Jobst in Windhaag gehört ins Reich der Legende, da sie in Wahrheit Marias älterer, bereits verheirateter Schwester Anna, die Bruckner zu dieser Komposition angeregt hatte, zugedacht war). Aloisia wies den sich mehr in Musik (Frühlingslied, Lancier-Quadrille, Steiermärker) als in Worten erklärenden Verehrer ab, der sich seinerseits aber auch für andere Mädchen interessierte.

Bruckners vermutlich einzige „große Liebe“ war die Linzer Fleischhauerstochter Josefine Lang, die 1866 seinen Antrag wegen des zu großen Altersunterschiedes von 20 Jahren ablehnte. Doch auch hier begegnet uns Bruckner schon wenige Tage später als ein um ein anderes Mädchen (Henriette Reiter) Werbender, ein Umstand, der sehr fraglich erscheinen lässt, ob Bruckner die Liebe zu einer Frau tatsächlich als bewusste und ausdrückliche Zuneigung zu einer unverwechselbaren Person erfahren hat, oder ob er einfach dem gesellschaftlich üblichen Verhaltensmuster einer Hausstandsgründung entsprechen wollte. Für ein tiefer gehendes Gefühl gegenüber Josefine Lang spricht möglicherweise der bald auf die Ablehnung erfolgte nervliche Zusammenbruch Bruckners, dessen Hauptursache aber vermutlich die Doppelbelastung Beruf–Studium (Simon Sechter; Bad Kreuzen) und seine damals geradezu explosive künstlerische Entwicklung gewesen sein dürften. In Linz soll Bruckners Herz auch für Ludmilla Gallasch (1845–1932) aus Ebensee entflammt sein, die 1861/62 eine Nähschule besuchte und bei ihrer in Linz verehelichten Schwester Marie Gütlbauer wohnte (Davy). Im Alter (mit 66 Jahren) wandte sich Bruckner mit einer Werbung an Josefine Langs 18‑jährige Tochter Karoline (Weilnböck) und nannte sie seinen „liaben Ersatz“ (Göll.-A. 3/1, S. 610).

In späteren Jahren, besonders, als sein Hauswesen durch Katharina Kachelmaier geregelt war, bewegen sich die immer sehr stereotypen Kontaktaufnahmen oder Werbungen zunehmend im Bereich der Irrealität: Bruckner war des Öfteren im Zustand der Verliebtheit, doch scheint das Weibliche mehr und mehr zu einem immerwährend jungen Ideal stilisiert worden zu sein (die zahlreichen in Bruckners Nachlass erhaltenen Mädchenbilder zeigen durchwegs sehr junge, sehr hübsche Gesichter), ohne dass Bruckner noch an eine tatsächliche Realisierung seiner Sehnsüchte dachte. Das Weibliche wird immer mehr zu einer inspirierenden Muse: „Bruckner schuf 1884 am ersten Satz seiner VIII. Symphonie und benützte im Hause des Eisenhändlers Hartmann [in Vöcklabruck] ein Zimmer mit Klavier, das man ihm aus Gefälligkeit zur Verfügung gestellt hatte, zum Komponieren. Als er dort zuerst Besuch machte, frug er sogleich, ob eine Tochter da sei. Als man dies bejahte, meinte er befriedigt: ,Das is recht, da kann ich komponieren!‘ Nun mußte der Schwager täglich die schönsten Blumen seines Gartens zu einem Bukett binden, das der Meister freudestrahlend der eben aufblühenden, liebreizenden Stieftochter des Hauses, Marie von Rottenberger, überreichte. Dann mußte sie sich neben ihn an das Klavier setzen und – der Meister war glücklich.“ (Göll.-A. 3/1, S. 587).

Vielleicht etwas nahegegangen zu sein scheinen Bruckner in späteren Jahren nur die Kontakte zu Marie Bartl, einer der jugendlichen Laiendarstellerinnen des Passionsspiels in Oberammergau 1880 (Maries Mutter Lina beendete den Briefwechsel wegen des zu großen Altersunterschiedes zwischen ihrer Tochter und dem Komponisten), zu Marie Demar, deren künstlerische Begeisterung Bruckner fälschlich als persönliche Zuneigung auslegte, zu Mina Reischl, einer schönen Kaufmannstochter aus Altheim, die ihn zwar 1891 wegen des großen Altersunterschiedes „endgültig“ ablehnte, aber seine Werbungen 1893 wieder mit hinhaltender Freundlichkeit zuließ (sie besuchte Bruckner noch 1896 in seiner letzten Wohnung im Belvedere), und zu dem Stubenmädchen Ida Buhz in Berlin, in dessen aufrichtiger Fürsorge eher Caritas als Eros enthalten war. Die Verbindung mit Ida, die zunächst zu einer „richtigen“ Verlobung führte, scheiterte offiziell an der Konfessionsverschiedenheit (Ida war eine sehr gläubige und in ihrer Kirche aktiv mitarbeitende Protestantin), zusätzlich dürfte sich Bruckner aber vor seinen Schülern und jugendlichen Freunden durch Idas einfaches Wesen geniert gezeigt haben, wenn wir den Darstellungen in den Erinnerungsberichten Glauben schenken dürfen. (In Wahrheit scheint Ida jedoch eine durchaus für Mädchen damals übliche Bildung genossen zu haben, sie spielte sogar Klavier.) Zudem scheint Bruckner auch diese Beziehung eher als „Eroberung“ denn als Liebesbeziehung gesehen zu haben; einige seiner recht pubertär renommierenden Äußerungen darüber sind überliefert.

Literatur

ELISABETH MAIER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 7.10.2020

Medien

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Abbildungen

Abbildung 1: Mathilde Feßl (ÖNB-MS, F28.Goellerich.379/1)

Abbildung 2: Hedwig Habermann (ÖNB-MS, F28.Goellerich.379/2)

Abbildung 3: Marie Payrleithner (ÖNB-MS, F28.Goellerich.379/3)

Abbildung 4: Karoline Weilnböck (ÖNB-MS, F28.Goellerich.379/4)

Abbildung 5: Aurelie Stolzar (ÖNB-MS, F28.Goellerich.379/5)

Abbildung 6: Henriette Sammet (ÖNB-MS, F28.Goellerich.379/6)

Abbildung 7: Wilhelmine Reischl (ÖNB-MS, F28.Goellerich.379/7)

Abbildung 8: Cäcilie Kloppenburg (ÖNB-MS, F28.Goellerich.379/8)

Abbildung 9: Ida Buhz, um 1892 (ÖNB-MS, F206.Buhz.1)

Links

ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft