Freundeskreis
Im Laufe seines Lebens pflegte Bruckner v. a. Freundschaften zu Personen aus seinem beruflichen Umfeld (Persönlichkeit). Das Zitat aus einer Kritik der Deutschen Zeitung (19.12.1877, S. 1) „er muß aber wenige oder gar keine Freunde haben“ bezieht sich auf Freunde seines Werkes, ebenso wie das Zitat „für einen Kreis von Freunden und Kennern“ (Briefe II, 920127/2), wobei Freunde hier jene genannt werden, die sein Werk verstanden. Dem bürgerlichen Zeitalter gemäß war Bruckner jedoch kein Mitglied von Zirkeln und Gesellschaften, die Konversationen und Briefwechsel pflegten.
Bruckner selbst schrieb am 19.3.1852 an Josef Seiberl in Eferding: „Ich habe zwar wenige Freunde, die ich wirkliche Freunde nennen kann u[nd] darf; von einem solchen aber etwas verlangt wird gewiß nicht vergessen.“ (Briefe I, 520319). Vor allem in seiner Zeit in St. Florian fühlte er sich einsam. Wann er den Lehrer Laurenz Herzog (1817–1907) kennenlernte, „der sein Duz-Freund war“ (Göll.-A. 3/1, S. 567), ist unklar. Sie trafen einander spätestens am 16.1.1855 anlässlich der Heirat von Bruckners Schwester Rosalia mit Johann Nepomuk Hueber, als Bruckner die Orgel spielte, und vermutlich bei dessen zahlreichen Besuchen in Vöcklabruck (Petermayr 2017, S. 7). Das Gefühl der Einsamkeit änderte sich mit seiner Übersiedlung nach Linz. Durch seine berufliche Tätigkeit als Dom- und Stadtpfarrorganist, als Mitglied der Liedertafel „Frohsinn“ und durch Schüler konnte er seinen Bekanntenkreis wesentlich erweitern.
1856 lernte er in Salzburg Rudolf Weinwurm kennen, der bis zu Bruckners Übersiedlung nach Wien dessen engster Vertrauter wurde, den er in seinen Briefen immer als „Lieber Freund“ titulierte und auch als „wahrer, inniger Freund“ (Briefe I, 620907) bezeichnete. Danach lockerte sich das Verhältnis zusehends. Weinwurm war gleichzeitig der Verbindungsmann nach Wien, der für Bruckner Freundschaftsdienste erledigte wie die Besorgung einer Wohnung für seine Studienaufenthalte oder Botendienste zu Simon Sechter. „Was mich stets mit größter Freude erfüllte, war die volle Überzeugung, d[a]ß der, den ich als einzigen wahren Freund erkenne auch meiner gedenkt, wovon mir jeder Brief von Dir und andere aus Wien Gekommene Bürgschaft sind“ (an Weinwurm, Briefe I, 600607).
Von Wien aus schließlich pflegte Bruckner die Kontakte zu seiner oberösterreichischen Heimat, v. a. mit seiner Familie (Bruckner, Familie), aber auch mit den Angehörigen der Stifte St. Florian (Karl Aigner; Bernhard Deubler; J. Seiberl; Ignaz Traumihler; s. Briefe II, 880201), Kremsmünster (Josef Leitenmaier [1866–1945]; P. Oddo Loidol), Seitenstetten (Dominik Dunkl) und Wilhering (Stiftsorganist Adolf Festl; P. Robert Riepl), sowie mit Linz (Wilhelm Floderer; Karl Kerschbaum; Karl Waldeck – „Gott erhalte Dich recht gesund und bleibe mein alter liebster Freund, dem ich von Herzen zugetan bin!“, Briefe I, 821100), Schwanenstadt (Betty und Moritz von Mayfeld ) und Steyr (Johann Evangelist Aichinger; Carl Almeroth; Franz Xaver Bayer; Leopold Hofmeyr). In seinen letzten Lebensjahren wurden das Stift Klosterneuburg und die Freundschaft zu Josef Kluger ein Ersatz für St. Florian. August Göllerich, den Bruckner 1884 kennenlernte, wurde sein Biograf – „Daß Du mein berufener, authorisirter [sic!] Biograf bist, versteht sich ja von selbst.“ (Briefe II, 910511).
In seinen späteren Lebensjahren (1888–1892) verbrachte Bruckner einen Teil seiner Ferien auf Einladung von Johann Nepomuk Attwenger in Bad Ischl, wo er einen Kreis von Freunden um sich scharte (Schuldirektor Franz Autengruber [1841–1903]; Chorregent Rupert Wastler [1834–1902]; Benefiziat Franz Fuchs [1845–1930]; Hermann Stieger [1843–1928]; Josef Vockner; sowie Mitglieder des Kirchenchores): „Im Kreise dieser Freunde ging er ganz aus sich heraus und trug selbst viel zu froher, heiterer Stimmung bei.“ (Linzer Volksblatt 14.5.1932, S. 5). Von dort aus besuchte er Franz Xaver Perfahl in Bad Goisern.
In Wien zählte er v. a. Schüler des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (z. B. Franz Schalk – „Heißgeliebter Freund!“, Briefe II, 940412, oder „Allerliebster Francisce!“, Briefe II, 891001 – und Josef Schalk; Ferdinand Löwe; Felix Mottl – „Herzallerliebster Freund! Ausgezeichneter Hofkapellmeister!“, Briefe I, 850617/2), die Hörer der Universitätsvorlesungen (Universität Wien) sowie Privatschüler (wie Friedrich Eckstein; Max von Oberleithner; Friedrich Klose) zu seinen jugendlichen Freunden, mit denen er abends Bierlokale aufsuchte. Viele von ihnen traten in späteren Jahren vehement für die Werke Bruckners ein.
Bruckners Lebensweise unterschied sich wesentlich von der bürgerlichen Norm: Er pflegte sein Image als Außenseiter in seinem ländlichen Katholizismus, in Kleidung, in seinen Freundschaften, ebenso wie als Junggeselle. Mit der Verbreitung seiner Werke trat Bruckner auch in näheren Kontakt mit den Dirigenten seiner Zeit, wobei es ihm vor allem um die Aufführung seiner Werke ging. So stellte etwa J. Schalk den Kontakt zu Arthur Nikisch in Leipzig her („Liebster, edelster genialster Freund Gönner u[nd] Kapellmeister!“, Briefe II, 881123/1). Auch mit Hermann Levi, den er seinen „hochedlen Gönner“ und „künstlerischen Vater“ nannte, verband ihn ein freundschaftliches Verhältnis – durch ihn lernte er in München Anhänger seiner Werke kennen (Mary und Konrad Fiedler; Hermann Kaulbach) – ebenso wie mit Siegfried Ochs und Karl Muck in Berlin sowie mit dem aus Linz stammenden Josef Thiard-Laforest in Pressburg und seinem alten Lehrer Otto Kitzler in Brünn. Zu seinen Komponistenkollegen pflegte er nur lose Kontakte, wie etwa zu Johannes Brahms. Eine Ausnahme ist hier seine Verehrung für Richard Wagner, aus der sich allerdings kein freundschaftliches Verhältnis entwickelte. Quellen zu Bruckners Freundschaften finden sich in seinen Briefen, in den Taschen-Notizkalendern, vor allem aber in der Erinnerungsliteratur.
Literatur
- Franz Gehring, Feuilleton. Musik, in: Deutsche Zeitung 19.12.1877, S. 1f.
- Albert Binna, Anton Bruckner in Bad Ischl, in: Linzer Volksblatt 14.5.1932, S. 5
- Gerald Karl Mitterschiffthaler, Die Beziehungen Anton Bruckners zum Stift Wilhering, in: Bruckner-Studien 1975Othmar Wessely (Hg.), Bruckner-Studien. Festgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum 150. Geburtstag von Anton Bruckner (Veröffentlichungen der Kommission für Musikforschung/Philosophisch-Historische Klasse 16). Wien 1975, S. 113–141
- Theophil Antonicek, Aus dem gemeinsamen Freundeskreis, in: Bruckner‑Symposion 1983Othmar Wessely (Hg.), Bruckner-Symposion. Johannes Brahms und Anton Bruckner. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1983. 8.–11. September 1983. Bericht. Linz 1985, S. 115–122
- Theophil Antonicek, „Sein Meister Anton Bruckner“. Bruckner-Freunde und Bruckner-Schüler in den Akten des Unterrichtsministeriums, in: Bruckner‑Symposion 1994Othmar Wessely u. a. (Hg.), Bruckner-Symposion. Bruckner-Freunde – Bruckner-Kenner. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1994. 21.–25. September 1994. Bericht. Linz 1997, S. 55–64
- Andrea Harrandt, „… den ich als einzigen, wahren Freund erkenne …“ Anton Bruckner und Rudolf Weinwurm, in: Bruckner‑Symposion 1994Othmar Wessely u. a. (Hg.), Bruckner-Symposion. Bruckner-Freunde – Bruckner-Kenner. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1994. 21.–25. September 1994. Bericht. Linz 1997, S. 37–48
- Thomas Leibnitz, „Francisce“ und der „Generalissimus“. Die Brüder Schalk als Interpreten und Bearbeiter der Werke Bruckners, in: Bruckner‑Symposion 1994Othmar Wessely u. a. (Hg.), Bruckner-Symposion. Bruckner-Freunde – Bruckner-Kenner. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1994. 21.–25. September 1994. Bericht. Linz 1997, S. 87–94
- Elisabeth Maier, „… er muß aber wenige oder gar keine Freunde haben …“ Anton Bruckners persönliche Beziehungen, in: Bruckner‑Symposion 1994Othmar Wessely u. a. (Hg.), Bruckner-Symposion. Bruckner-Freunde – Bruckner-Kenner. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1994. 21.–25. September 1994. Bericht. Linz 1997, S. 7–12
- Robert Münster, Aus Anton Bruckners Münchner Freundes- und Bekanntenkreis 1863–1886, in: Bruckner‑Symposion 1994Othmar Wessely u. a. (Hg.), Bruckner-Symposion. Bruckner-Freunde – Bruckner-Kenner. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1994. 21.–25. September 1994. Bericht. Linz 1997, S. 161–174
- Karl Rehberger, St. Florian und Anton Bruckner bis 1855. Einige neue Aspekte, in: Bruckner‑Symposion 1994Othmar Wessely u. a. (Hg.), Bruckner-Symposion. Bruckner-Freunde – Bruckner-Kenner. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1994. 21.–25. September 1994. Bericht. Linz 1997, S. 31–36
- Briefe IIAndrea Harrandt/Otto Schneider (Hg.), Briefe von, an und über Anton Bruckner. Bd. II. 1887–1896 (NGA XXIV/2). Wien 2003
- Bruckner und SteyrErich Wolfgang Partsch, Anton Bruckner und Steyr. Mit einem kirchengeschichtlichen Beitrag von Roland Bachleitner (Anton Bruckner. Dokumente und Studien 13). Wien 2003, S. 171–379
- Andrea Harrandt, „… zu Freude und zum Stolze unseres Vaterlandes …“ Bruckners oberösterreichische Freunde – dargestellt anhand ausgewählter Briefe, in: Streifzüge 1 (2007)Klaus Petermayr/Erich Wolfgang Partsch (Hg.), Streifzüge. Beiträge zur oberösterreichischen Musikgeschichte 1 (Oberösterreichische Schriften zur Volksmusik 5). Linz 2007, S. 163–172
- Briefe IAndrea Harrandt/Otto Schneider (Hg.), Briefe von, an und über Anton Bruckner. Bd. I. 1852–1886 (NGA XXIV/1). 2., rev. und verbesserte Aufl. Wien 2009
- Dom- und StadtpfarrorganistElisabeth Maier, Anton Bruckner als Linzer Dom- und Stadtpfarrorganist. Aspekte einer Berufung. Mit einem Beitrag von Ikarus Kaiser (Anton Bruckner. Dokumente und Studien 15). Wien 2009
- Bruckner-Handbuch 2010Hans-Joachim Hinrichsen (Hg.), Bruckner-Handbuch. Stuttgart–Weimar 2010, bes. S. 25–30, 35–38
- Klaus Petermayr, Anton Bruckner geht wandern. Eine Zwieselalmbesteigung im Jahre 1888, in: OÖ. HeimatblätterOberösterreichische Heimatblätter. Linz 1947ff. 69 (2015) H. 1/2, S. 61
- Klaus Petermayr, Der Brucknerfreund Laurenz Herzog, in: ABIL-MitteilungenABIL-Mitteilungen. Hg. v. Anton Bruckner Institut Linz. Linz 2008ff. Nr. 20 (Dezember 2017), S. 5ff.
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