Bruckner-Gesellschaften

Anlässlich der Enthüllung der Gedenktafel für Bruckner im Arkadenhof der Universität Wien am 11.2.1912 hielt August Göllerich eine Festrede, in deren Rahmen er die Gründung einer weltweit agierenden Bruckner‑Gesellschaft anregte. Ob sich danach in Wien tatsächlich eine kleine Bruckner-Gemeinde bildete, ist zweifelhaft.

Sicher kam es jedoch im Frühjahr 1920 zur Gründung eines Wiener Bruckner-Bundes, der auch als Konzertvereinigung bezeichnet wurde. Präsident war Felix Decker (1880–1962). Ziel war allgemein die Pflege und Bekanntmachung von Bruckners Werk, bewerkstelligt sollte dies werden u. a. durch die Herausgabe bisher unedierter Werke, leichter Klavierauszüge (Bearbeitungen) und formaler Werkanalysen, die Einrichtung eines Bruckner-Museums im Sterbezimmer (Gedenkstätten), die Sammlung von Möbeln, Bruckner-Erinnerungen (Erinnerungsgegenstände) etc., die Gründung von Zweigvereinen usw. Am 14.11.1920 fand das erste „Kammerkonzert“ des Bundes im Wiener Musikverein statt; das Konzert war bereits im Vorfeld ausverkauft. Am 7.5.1921 veranstaltete der Bund einen Liederabend (von Herbert Thöny) im Musikverein, bei dem jedoch keine Werke Bruckners zur Aufführung gelangten, und im März 1922 (am 17., 24., 31.) „Erläuterungen der Symphonien Anton Bruckners mit Vorführungen der Dritten, Fünften und Achten Symphonie auf dem Klavier“ (Neues Wiener Journal 16.3.1922, S. 8). 1922 konnte der Bund ein aus zwei Heften bestehendes Jahrbuch mit Beiträgen von Ernst Decsey, Göllerich, Franz Gräflinger u. a. publizieren. Gräflinger (ab 1921) und Göllerich waren Ehrenmitglieder des Wiener Bruckner-Bundes, der 1924 auch noch dem Ehrenpräsidium des Komiteés zum Umbau der Bruckner‑Orgel in St. Florian angehörte. Danach verliert sich seine Spur.

Um 1921 existierte in Wien auch eine Brucknervereinigung unter dem Obmann Max Soeser (1880–1945), die für die Enthüllung der Bruckner-Gedenktafel am Kustodenstöckel des Belvedere verantwortlich war. Zur Deckung der Kosten der Gedenktafel sammelte sie Spenden und veranstaltete Konzertabende (auch in Salzburg).

In Ansfelden gründete der Lehrer Alois Holzer (?–?) 1923 einen Bruckner-Grabschutzbund, der sich Anfang 1924 als Zweigverein des Wiener Bruckner-Bundes konstituierte (Bruckner-Bund Ansfelden) und 1924 die Errichtung eines Denkmals für Bruckner bewerkstelligen konnte. Ab 1936 ruhend, wurde der Verein 1939 zwangsaufgelöst und 1950 als Zweigverein des Brucknerbundes für Oberösterreich wieder gegründet.

Die größte Bedeutung erlangte in den 1920er Jahren jedoch zunächst die Berliner Bruckner Vereinigung (Berlin), die 1919/20 unter der Führung von Arthur Nikisch und Harry von Pilgrim (1863–1925) gegründet wurde. Ihr künstlerischer Leiter war Felix Maria Gatz, der 1923 auch den Bruckner-Chor der Vereinigung ins Leben rief. 1923 brachte sie die Fünfte und Siebente Symphonie in Breslau zur Aufführung. Im Winter 1923/24 folgten die ersten Veranstaltungen in Berlin (Vierte, Fünfte und Siebente Symphonie, Te Deum). Zwei Jahre später organisierte sie erstmals einen Bruckner-Zyklus in Form von Abonnementkonzerten. 1934 befand sie sich jedoch im Konkurs.

Am 4.11.1925 beschlossen Vinzenz Hartl (1872–1944), Max Auer, Franz Moißl, Gatz, Vinzenz Goller, Franz Xaver Müller und Alois Nikolussi (1890–1965) in St. Florian die Gründung eines Internationalen Bruckner-Bundes. In der Folge kam es zunächst wie geplant zur Gründung von regionalen Bruckner-Bünden und Ortsgruppen: Zu Beginn des Jahres 1926 wurden der Brucknerbund für Wien und Niederösterreich (Vorsitzende: Hans Sperl [1861–1959] und Karl Kobald, Schriftführer: Moißl und Alfred Orel, Kassiere: Norbert Furreg [1886–1967] und Sigismund Schnabel [1895–1985]; Beiräte: Decsey, Ferdinand Habel [1874–1953], Camillo Horn, Anton Konrath [1888–1981], Vinzenz Oskar Ludwig [1875–1959], Ludwig Schwab [?–?], Heinrich Singer [?–?], Oskar Sirolla [?–?], Ignaz Leopold Weber [1876–1943; Wiener Bruckner-Chor ], Andreas Weißenbäck [1880–1960], Fritz Wedl [?–?], Josef Venantius von Wöss) und im Frühjahr 1926 der Brucknerbund für Oberösterreich gegründet. Ebenfalls 1926 gründeten Ernst Kurth und Gustav Renker (1889–1967) in Bern den Schweizerischen Brucknerbund, Fritz Gysi (1888–1967) in Zürich eine Bruckner-Vereinigung, Karl Grunsky den Württembergischer Brucknerbund und Alfred Zehelein die Deutsche Bruckner-Gemeinde in München; Carl Wilhelm Petersen (1868–1933) und Walter Magnus (1877–1949) scharten in Hamburg eine Gruppe Bruckner-Freunde um sich.

Die Gründung der Bruckner‑Gesellschaft E. V. (Internationale Bruckner‑Gesellschaft [IBG]) 1927 löste in weiterer Folge einen wahren Boom an Gründungen von Bruckner-Vereinigungen aller Art in der Zwischenkriegszeit aus. Die meisten von ihnen waren in weiterer Folge Ortsgruppen oder Sektionen der IBG. Zu nennen wären u. a.: Der Badische Bruckner Bund (1928 in Freiburg im Breisgau, Fritz Grüninger), der Westfälische Brucknerbund (1929 in Münster) sowie Bruckner-Gemeinden oder Ortsgruppen in Aachen, Augsburg, Bonn (Sektion Rheinland der IBG), Düsseldorf, Duisburg, Hamburg, Karlsbad (Robert Manzer [1877–1942]), Leitmeritz (Litoměřice/CZ), Memmingen, München (Siegmund von Hausegger), Prag (Bruckner-Blätter 2 [1930] H. 1, S. 18f.), Salzburg, Schärding, Straßburg (Frédéric Goetz), Wiener Neustadt. Die 1934 ins Leben gerufene Leipziger Bruckner Gemeinde (Theodor Armbruster; Leipzig) war nicht Mitglied der IBG, was auf politische Einflussnahme zurückzuführen ist (Nationalsozialismus). 1935–1945 bestand die Dresdner Bruckner Vereinigung (ostsächsische Ortsgruppe der IBG; Dresden) unter Oberkirchenrat Arthur Neuberg (1866–1961), der die Dresdner Brucknerblätter herausgab. 1934–1941 gab es die Nederlandsche Brucknervereeniging Amsterdam (Amsterdam) als Sektion der IBG und 1936–1938 eine Bruckner-Vereinigung in der Türkei, die als Ortsgruppe in Ankara der IBG eingegliedert werden sollte. Geplant waren weitere IBG-Ortsgruppen u. a. in Budapest (Ernst von Dohnányi [1877–1960]), Edinburgh, Nürnberg und Reichenberg (Liberec/CZ).

1956 wurde auf Anregung von Edward D. R. Neill (1929–2011) eine Associazione Italiana „Anton Bruckner“ in Genua gegründet, die auch eine Sektion in Rom hat. In Anerkennung für ihren Einsatz um die Verbreitung von Bruckners Werken in Italien wurden einige Dirigenten zu Ehrenmitgliedern der Gesellschaft ernannt. Ausgangspunkt für die frankophonen Länder war 1957 die Gründung der Société française „Anton Bruckner“ durch Paul‑Gilbert Langevin in Paris. Diese Gesellschaft ruht derzeit, soll aber als Société française des amis d‘Anton Bruckner wiederbelebt werden. 1972 wurde der heute nicht mehr bestehende Cercle des Amis d‘Anton Bruckner von Marc Kremer in Luxemburg gegründet, im selben Jahr entstand eine Société musicale belge „Anton Bruckner“ durch Christian Bronchain in Brüssel. Außerdem soll eine Bruckner‑Gesellschaft in der französischen Schweiz bestanden haben, der Claude Desclouds in Thônex (Genève) vorstand. Brucknerfreunde in Großbritannien gründeten 1997 die Zeitschrift The Bruckner Journal und veranstalten seit 1999 alle zwei Jahre eine Readers Conference. Eine Gruppe des German-Maltese Circle widmet sich unter Leitung von Martin Spiteri (* 1959) den Werken Bruckners in Malta. In Lund befindet sich der Sitz der Schwedischen Bruckner‑Gesellschaft (Svenska Brucknersällskapet) mit Sven-Arild Widén (* 1943) als Präsident.

Außerhalb Europas entstand 1931 die Bruckner Society of America (Gabriel Engel und Robert G. Grey [1895–1962]), die sich die Förderung der Werke Bruckners und Gustav Mahlers zum Ziel gesetzt hatte; v. a. Martin G. Dumler (1868–1958), Jack Diether (1919–1987) und Charles L. Eble (1915–2009) machten sich verdient. In den USA waren weiters die Bruckner Society of America, Western Region (California), und die California Friends of Bruckner (mit Frank J. Plash [1915–2006]) aktiv.

Klaus Pringsheim (1883–1972) plante bereits 1937 eine japanische Sektion der IBG. Eine japanische Bruckner‑Gesellschaft wurde dann 1978 in Osaka (Japan) gegründet. Präsident war Takashi Asahina, Dirigent des Ōsaka Philharmonic Orchestra. 1990 wurde in Tokio die Gesellschaft der Freunde Anton Bruckners in Japan (www.bruckner.jp) gegründet, die unter dem Titel Adagio eine eigene Zeitschrift herausgibt. In Singapur (Rezeption) gründete Chan Boon Tan 1996 eine Bruckner‑Gesellschaft. In Südamerika (Lateinamerika) machte sich v. a. Guillermo Knepler (1906–2003) als Delegierter der IBG um die Werke Bruckners verdient.

Literatur

CHRISTIAN K. FASTL, ANDREA HARRANDT

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 10.12.2021

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