Bülow, Hans Guido (Freiherr) von
* 8.1.1830 Dresden, Sachsen/D, † 12.2.1894 Kairo/ET. Pianist, Dirigent und Komponist.
Unterricht in Klavier bei Friedrich Wieck (1785–1873), Musiktheorie in Dresden bei Max Karl Eberwein (1814–1875) und Kontrapunkt in Leipzig bei Moritz Hauptmann (1792–1868). Nach zwei Jahren Jus-Studium (1848–1850) in Leipzig und Berlin entschied er sich gegen den Willen seiner Eltern für eine musikalische Laufbahn. In seiner Jugend war er fanatischer Vorkämpfer der Neudeutschen Schule (Franz Liszt, Richard Wagner), seit Mitte der 1870er Jahre Anhänger und Propagator der Musik von Johannes Brahms. 1855–1864 Klavierlehrer und (gelegentlich) Dirigent in Berlin, 1864–1869 durch Initiative Wagners in München am Hof König Ludwig II. tätig (ab 1867 Hofkapellmeister), wo er die Uraufführungen von Tristan und Isolde (10.6.1865) und Die Meistersinger von Nürnberg (21.6.1868) leitete. 1869/70 Auflösung der Ehe mit Cosima Liszt, Übersiedlung nach Italien (bis 1872) und Reisetätigkeit als Pianist. 1877–1879 war er Hofkapellmeister in Hannover, 1880–1885 Hofmusikintendant in Meiningen (umfangreiche Konzertreisetätigkeit mit der durch Bülow berühmt gewordenen Meininger Kapelle), ab 1886 (mit ständigem Wohnsitz in Hamburg ab 1887) Leiter der Hamburger Abonnementskonzerte und ab 1887 zusätzlich der Berliner Philharmonischen Konzerte (nach dem März 1892 wegen schwerer Erkrankung nur noch sporadisch); in dieser Position der wohl bedeutendste und einflussreichste deutsche Dirigent seiner Zeit.
Bruckner begegnete Bülow im Mai und im Juni 1865 in München, wo er die dritte Tristan-Aufführung (19.6.1865) besuchte und Bülow die beiden bis dahin fertigen Sätze seiner Ersten Symphonie zeigte, über deren „Originalität und Kühnheit“ Bülow sich nach Bruckners Zeugnis (Briefe I, 761001, an Wilhelm Tappert; vgl. auch Göll.-A. 3/1, S. 316) sehr positiv geäußert haben soll. Bülow vermittelte damals auch die erste Begegnung mit Wagner. 1868 bat Bruckner den inzwischen zum Hofkapellmeister ernannten Bülow um Hilfe bei der Vermittlung einer eventuellen Anstellung als „Hoforganist o[der] Vice-Hofkapellmeister“ in München (Briefe I, 680620/2). Bülows Antwort ist nicht bekannt. Nur einmal trat Bülow öffentlich im Zusammenhang mit Werken Bruckners auf (allerdings war er in diesem Falle nicht für die Programmzusammenstellung verantwortlich): als Solist in Ludwig van Beethovens 4. Klavierkonzert op. 58 in einem Konzert der Wiener Philharmoniker unter Hans Richter (20.2.1881), in dem die 2. Fassung von Bruckners Vierter Symphonie zur Erstaufführung kam (einen weiteren Programmpunkt bildete Bülows Orchesterballade op. 16). Bruckner ästimierte Bülow zeitlebens außerordentlich als Dirigenten; der Besuch der Wiener Konzerte der Meininger Kapelle im Spätherbst 1884 war für ihn eine Selbstverständlichkeit.
Offenbar schätzte Bruckner Bülows Meinung über ihn noch lange nach der ersten Begegnung irrigerweise eher optimistisch ein. Nach dem grandiosen Münchner Erfolg der Siebenten Symphonie will er von Albert Gutmann sogar erfahren haben, „v. Bülow hätte die 7. Sinf. nach Berlin empfohlen“ (Briefe I, 850707/1, Bruckner an August Göllerich), während dieser in Wirklichkeit seinem Freund Karl Klindworth, der sich im März 1885 nach Bülows Meinung über die Siebente Symphonie erkundigt hatte, dringend von deren Aufführung abgeraten hatte (Klindworth brachte das Werk dennoch am 31.1.1887 mit den Berliner Philharmonikern zu dessen Berliner Premiere). Spätestens seit den 1880er Jahren sind Bülows Urteile über Bruckner, was diesem schließlich auch nicht verborgen blieb, scharf negativ. Das rasch zum geflügelten Wort gewordene und schon 1886 im Tagebuch der Liszt-Biografin Lina Ramann (1833–1912) nachweisbare maliziöse Diktum vom „Halbgenie + Halbtrottel“ findet sich erstmals in einem Brief Bülows vom 28.6.1885 an den Berliner Publizisten Otto Lessmann (vgl. Hinrichsen, S. 23f.). Weitere briefliche Äußerungen Bülows bezeugen seine Ablehnung „des musikalischen resp. antimusikalischen Blödsinns des Querkopfs Bruckner“ (Briefe II, 870213/2, Bülow an Wilhelm Zinne) unmissverständlich, lassen aber häufig auch erkennen, dass er Bruckner vor allem dessen Inanspruchnahme durch die Bayreuther Ideologie übelnahm. Durch eine improvisierte Ansprache Bülows im Wiener Tonkünstlerverein in Gegenwart von Brahms (2.2.1887) fühlte sich Bruckner besonders verletzt (Briefe II, 870223/2, an Hans Paul Freiherr von Wolzogen). Bruckners gelegentlich geäußerter Verdacht, Bülow hintertreibe in seinem Einflussbereich Bruckner-Aufführungen nach Kräften, ist freilich dokumentarisch kaum zu erhärten. Nach der Aufführung des Te Deum am 31.5.1891 in Berlin durch Siegfried Ochs schlug Bülows Ablehnung zu Bruckners großer Genugtuung – allerdings nur bezogen auf dieses einzige Werk – in Anerkennung um.
Werke
- Orchesterballade Des Sängers Fluch op. 16
- Orchesterfantasie Nirwana op. 20
- Klavierwerke
- Lieder
- Klavierauszüge, vor allem von Opern Richard Wagners
Schriften
- Über Richard Wagner’s Faust-Ouverture. Eine erläuternde Mittheilung an die Dirigenten, Spieler und Hörer dieses Werkes. Leipzig 1860
- Briefe und Schriften. 8 Bde. Hg. v. Marie von Bülow. Leipzig 1895–1908
Literatur
- Marie von Bülow, Hans von Bülow in Leben und Wort. Stuttgart 1925
- Richard Graf Du Moulin Eckart (Hg.), Hans von Bülow. Neue Briefe. München 1927, S. 112
- Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 3/1, S. 316f.
- Hans-Joachim Hinrichsen (Hg.), Hans von Bülow, Die Briefe an Johannes Brahms. Tutzing 1994 (Briefe Nr. 22, 41, 48, 51)
- Lina Ramann, Lisztiana. Mainz 1983, S. 337
- Hans-Joachim Hinrichsen, „Halb Genie, halb Trottel“. Hans von Bülows Urteil über Anton Bruckner, in: IBG-MitteilungsblattMitteilungsblatt der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Studien & Berichte. Hg. v. der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Wien 1971ff. Nr. 55 (Dezember 2000), S. 21–24
- Isolde Vetter, Art. „Bülow, Hans (Guido) Freiherr von“, in: MGG²Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. 29 Bde. (Sach- und Personenteil). 2. neubearb. Ausgabe. Kassel u. a. 1994–2008 3 (2000), Sp. 1249–1254
- Christopher Fifield, Art. „Bülow, Hans (Guido) Freiherr von“, in: NGroveD²Stanley Sadie (Hg.), The New Grove Dictionary of Music and Musicians. 29 Bde. 2. Ausgabe. London 2001 4 (2001), S. 599ff.
- Briefe IIAndrea Harrandt/Otto Schneider (Hg.), Briefe von, an und über Anton Bruckner. Bd. II. 1887–1896 (NGA XXIV/2). Wien 2003
- Briefe IAndrea Harrandt/Otto Schneider (Hg.), Briefe von, an und über Anton Bruckner. Bd. I. 1852–1886 (NGA XXIV/1). 2., rev. und verbesserte Aufl. Wien 2009
- Wolfgang Rehm, Art. „Bülow, Hans Guido von (Pseudonym Peltast, W. Solinger)“, in: www.deutsche-biographie.de [15.1.2020]
- Barbara Boisits, Art. „Bülow, Hans Guido Freiherr von“, in: www.musiklexikon.ac.at [15.1.2020]