Italien (Rezeption)

Das 19. Jahrhundert stand in Italien zunächst vor allem im Zeichen der virtuosen Gesangsoper und danach des Verismo. Das Interesse der italienischen Komponisten an der sogenannten mitteleuropäischen „Spätromantik“ (bes. Johannes Brahms, Franz Liszt, Richard Wagner) entwickelte sich erst nach und nach, auch dank der Verbreitung durch Komponisten wie Giovanni Sgambati (1841–1914), Giuseppe Martucci (1856–1909), Alfredo Catalani (1854–1893), Alberto Franchetti (1860–1942) und Marco Enrico Bossi (1861–1925) sowie Dirigenten wie Angelo Mariani (1821–1873), Luigi Mancinelli (1848–1921), Vittorio Maria Vanzo (1862–1945) und Arturo Toscanini, um nur einige zu nennen.

Bruckners symphonisches Modell fand in der Entwicklung der italienischen Symphonik um die Jahrhundertwende wenig bis gar keine Beachtung. Trotzdem konnte Toscanini in Bruckners Todesjahr (1896) dessen Musik in Italien zur Aufführung bringen. Er dirigierte das Adagio aus der Siebenten Symphonie in zwei Konzerten am 13. und 21.12.1896 im Teatro Vittorio Emanuele in Turin. Derartige „anthologische“ Konzerte mit Werkausschnitten diverser Komponisten waren damals groß in Mode. So erklangen an solchen Abenden Sätze von Joseph Haydn, Ludwig van Beethoven, Carl Maria von Weber (1786–1826), Alexis-Emmanuel Chabrier (1841–1894), Edvard Grieg (1843–1907) und Felix Mendelssohn Bartholdy.

Bereits als sehr junger Dirigent eroberte Toscanini um die Jahrhundertwende die besten und berühmtesten Bühnen. So blieb sein Interesse an Bruckner – genauso wie jenes an Gustav Mahler – stets im Hintergrund. Es bedurfte vieler Jahre, bevor er sich neuerlich mit der Musik Bruckners, konkret mit einer kompletten Symphonie, auseinandersetzte: Anlässlich der Gründung der Bruckner Society of America in New York dirigierte er im März 1931 zum ersten Mal im amerikanischen Rundfunk die Siebente. Ein Jahr nach dieser von Publikum und Kritik hochgelobten Aufführung folgte, ebenfalls in New York, die komplette Vierte Symphonie. Danach dirigierte Toscanini, trotz seines Interesses und seiner Bewunderung für Bruckner, keine weiteren Aufführungen mit dessen Werken mehr.

In den Folgejahren, zumindest in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, war Bruckners Musik im italienischen Konzertleben nur selten und in Ausschnitten zu hören. So präsentierten Ferdinand Löwe am 29.4.1912 in Bologna das Andante aus der Zweiten und Franz Schalk 1921 im Saal des Augusteo in Rom Adagio und Scherzo aus der Neunten Symphonie. Bei den wenigen Aufführungen kompletter Werke Bruckners waren 1908 die Vierte im römischen Anfiteatro Corea (später Augusteo) unter Teofilo De Angelis (1866–1954) und das Te Deum in der Società dei Filarmonici in Triest zu hören. Das Te Deum wurde erst 1944 im mailändischen Castello Sforzesco unter der Leitung von Nino Sanzogno (1911–1983) mit Coro und Orchestra del Teatro alla Scala wieder aufgeführt.

Am 9.5.1933 interpretierte Clemens Krauss mit den Wiener Philharmonikern im Teatro alla Scala die Dritte Symphonie. Sechs Jahre später brachte der italienische Rundfunk (RAI) mit einer Aufführung der Siebenten von Fernando Previtali (1907–1985) erstmals ein Werk Bruckners.

Im Großen und Ganzen blieben Konzerte mit Bruckners Musik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges weiterhin spärlich. Auch im Schrifttum wurde Bruckner nur oberflächlich rezipiert: wenige Rezensionen, selten Aufsätze oder Artikel in Zeitschriften, die häufig kapitale Fehler beinhalten.

Unter den ersten kompetenten Autoren, die sich mit Bruckners Schaffen beschäftigten, ist Giannotto Bastianelli (1883–1927) zu nennen, der in seinem Buch La crisi musicale Europea (1912) der Romantik ausreichend Platz einräumte. Auch Guido Pannain (1891–1977), Gianandrea Gavazzeni (1909–1996), Giulio Confalonieri (1896–1972), Franco Abbiati (1898–1981) und Massimo Mila (1910–1988) setzten sich mit der Bruckner‘schen Ästhetik auseinander.

1956 gründete der Kritiker Edward Neill (1929–2011) in Genua die Associazione Italiano Anton Bruckner (Bruckner-Gesellschaften), die 1958 eine erste Aufsatzsammlung zu Bruckner veröffentlichte. Gemeinsam mit Luigi Bellingardi (* 1929) – der einen Zweigverein in Rom leitete –, Alberto Basso (* 1931), Sergio Martinotti (1932–2012) – der 1973 die erste Bruckner-Biografie in italienischer Sprache herausgab – und Giorgio Vigolo (1894–1983) versuchte er, Bruckner in Italien bekannt zu machen.

Unter den italienischen Dirigenten setzten sich vor allem Carlo Maria Giulini, Claudio Abbado, Riccardo Chailly, Giuseppe Sinopoli und Riccardo Muti (* 1941) für die Werke Bruckners ein.

1979–1985 arbeiteten Nicola Samale und Giuseppe Mazzuca an einer Vervollständigung des Finales der Neunten Symphonie, die am 18.2.1986 in Berlin uraufgeführt wurde.

Literatur

ALESSANDRO ROMANELLI

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 30.9.2020

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