Muck, Karl (Carl)

* 22.10.1859 Darmstadt, Hessen/D, † 3.3.1940 Stuttgart, Baden-Württemberg/D. Dirigent.

Muck lebte ab 1861 bis zu seinem Abitur 1877 in Würzburg, unterbrochen von einem Umzug der Familie in die Schweiz 1872–1874. Sein Vater war bayerischer Ministerialrat und hatte selbst als Dirigent gewirkt. Der junge Muck erhielt Musikunterricht bei Karl Kissner (1815–1905) an der Königlichen Musikschule Würzburg und studierte klassische Philologie in Heidelberg und Leipzig (1880 Dr. phil.), wo er zugleich das Konservatorium besuchte (Klavierstudium bei Carl Reinecke [1824–1910], Abschluss am 9.9.1879) und im Februar 1880 als Pianist im Gewandhaus debütierte. Ohne Abschluss einer Dirigentenausbildung wirkte Muck anschließend als Kapellmeister u. a. in Zürich, Salzburg (Hugo Wolf war hier etwa zwei Monate sein Zweiter Kapellmeister), Brünn und schließlich Graz, wo er Theaterkapellmeister (1884 Lohengrin, 1885 Meistersinger) und Dirigent des Steiermärkischen Musikvereins war. 1886 wurde er Erster Kapellmeister an Angelo Neumanns (1838–1910) Deutschem Landestheater in Prag; von dort reiste er mit Neumanns Wandertruppe nach St. Petersburg (hier dirigierte Muck erstmals Richard Wagners Ring des Nibelungen) und Moskau; hier trat er auch noch im Frühjahr 1896 im Rahmen des Gastspieles deutscher Musiker anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten des Zaren Nikolaus II. (1868–1918) auf. Nach einem erfolgreichen Auftreten im Berliner Lessingtheater wurde er 1892 Erster Kapellmeister an der Königlichen Oper in Berlin. 1906–1908 leitete er das Boston Symphony Orchestra, kehrte aber 1908 nach Berlin zurück (Generalmusikdirektor); er leitete vertretungsweise auch Konzerte der Königlichen Kapelle. Neben seinen Haupttätigkeiten war er 1894–1911 Leiter der Schlesischen Musikfeste in Görlitz und dirigierte 1899 Wagner-Opern im Covent Garden Theatre in London. 1901–1930 leitete er sämtliche Parsifal-Aufführungen in Bayreuth. Als 1903 nach dem plötzlichen Rücktritt Joseph Hellmesbergers d. J. von der Direktion der Wiener Philharmonischen Konzerte für drei Saisonen Gastdirigenten herangezogen wurden (1903/04–1905/06), übernahm Muck jeweils zwei Konzerte (in denen keine Werke Bruckners aufgeführt wurden). 1912 ging er erneut als Chefdirigent des Boston Symphony Orchestra nach Boston, wurde dort aber nach dem Kriegseintritt Amerikas (nach anderen Quellen 1918) wegen seiner Weigerung, sich in den Vereinigten Staaten einbürgern zu lassen, angeblich auch aufgrund von „alberne[n] Verleumdungen“ (Stephenson, S. 244) der Presse interniert und 18 Monate auf Fort Oglethorpe in Georgia festgehalten; seine damals beschlagnahmten Besitztümer (darunter Bruckneriana) sind bis heute verschollen. Nach Kriegsende wirkte er beim Concertgebouw Orkest in Amsterdam, wo er in den Saisonen 1920/21 bis 1924/25 jeweils in der ersten Saisonhälfte den nach Amerika engagierten Willem Mengelberg (1871–1951) vertrat; er führte dort u. a. Bruckner-Symphonien auf: neunmal die Siebente, dreimal die Fünfte und zweimal die Neunte (Steffen, S. 19f.). 1922 wurde er Leiter der Philharmonischen Konzerte in Hamburg, die sich damals in einer Phase schwerster Depression befanden und sich, „seit Carl Muck sie zu führen“ übernahm, „unerschütterlich“ behaupteten (Zinne 1924, S. 228). Muck führte in Hamburg u. a. Bruckners Siebente auf.

1933 zog sich Muck in den Ruhestand zurück und übersiedelte nach Stuttgart. Der Grund könnten Pläne gewesen sein, „sein“ Orchester mit dem des Stadttheaters zusammenzulegen. Ob politische Gründe mitspielten, wird diskutiert; eine gewisse Nähe Mucks zu den Nationalsozialisten und v. a. Adolf Hitler dürfte nicht zu übersehen sein. Dass die offizielle Trauerfeier von nationalsozialistischen Ehren geprägt war, muss allerdings nichts über seine Einstellung sagen (Fetthauer). 1997 wurde der Karl-Muck-Platz in Hamburg wegen Mucks Nähe zum Nationalsozialismus in Johannes-Brahms-Platz umbenannt.

In Amsterdam wurde bei der Aufführung der Siebenten unter Eduard van Beinum (1901–1959) am 7.3.1940 das Adagio Muck gewidmet.

Muck war sicher Bruckners bester Freund unter den Dirigenten und einer seiner besten überhaupt. Die persönliche Beziehung begann in Graz, wo Muck am 14.3.1886 die erfolgreiche österreichische Erstaufführung der Siebenten Symphonie dirigierte. Bereits im Oktober 1885 notierte sich Bruckner Mucks Grazer Adresse (Verborgene Persönlichkeit, Bd. 2, S. 239). Die Einladung an Bruckner, bei den Bach‑ und Händelfeiern in Graz 1885 Werke der beiden Meister zu interpretieren (der Bruckner allerdings nicht folgen konnte) geht nach Ingrid Schubert (s. Lit.) auf Muck zurück. Für die Siebente hielt er insgesamt 14 Proben ab – eine im Vergleich zu anderen Aufführungen enorm hohe Zahl – und korrigierte in den Stimmen zahlreiche (an die 100) Fehler (man sagte von ihm, er habe selbst in jahrzehntelang gebrauchtem Material Fehler gefunden). Bruckner selbst reiste, einer Einladung des Grazer Singvereins folgend, mit Friedrich Eckstein nach Graz und nahm an den letzten Proben teil. Die Aufführung im Rahmen des 5. Mitglieder-Konzertes des Steiermärkischen Musikvereins im Stephaniesaal wurde zum durchschlagenden Erfolg für Bruckner, aber auch für Muck und das von ihm ausgezeichnet vorbereitete Orchester. Im Brief vom 16.3.1886 dankte Muck Bruckner für die „unvergeßlich schönen Stunden“, die er durch die Beschäftigung mit der Siebenten habe erleben dürfen. Leider habe er Bruckner nicht sagen können, „wie sehr mir Dein Werk zu Herzen ging und wie ich es mir angelegen sein ließ, Deinen hohen Intentionen möglichst gerecht zu werden“ (Briefe I, 860316/2). Die Siebente dirigierte Muck in den folgenden Jahren auch in Prag am 15.1.1888 (nach Mucks Telegramm an Bruckner ein „Riesenerfolg“ [ÖNB, Musiksammlung, Sign. Mus.Hs.28252]) und am 4.12.1889 (nach Mucks Mitteilung an Kienzl ebenfalls ein „durchschlagender“ Erfolg [Wienbibliothek, Handschriftensammlung, Sign. H.I.N.-181826]).

Der von Bruckner so bezeichnete „geniale[ ] Würzburger“ (Briefe I, 860325/1) übernahm auch vom erkrankten Felix Weingartner die Aufführung der Siebenten am 6.1.1894 mit der Königlichen Kapelle in Berlin und drängte Bruckner, nach Berlin zu Generalprobe und Konzert zu kommen (Briefe II, 931223/2), was Bruckner nach einigem Zögern (wegen gesundheitlicher Bedenken) auch tat. Bemerkenswert ist die Anfrage Mucks, ob es vielleicht „eine thematische Inhaltsangabe der Symphonie, nach Art der von Bülow in seinen Concerten verwendeten ‚Programm-Bücher‘“ gebe, da man das „etwas blasirte und übersättigte Publikum“ (Briefe II, 931226) über die Presse entsprechend vorbereiten müsse. Über die glanzvolle Aufführung meinte Bruckner später, dass er die Tuben-Akkorde nie mehr so herrlich wie in Berlin gehört habe, was ihn zu den Zitaten am Schluss des Adagio der Neunten veranlasst haben soll (Auer 1940, S. 195). In Berlin (wohin Bruckner mit H. Wolf gefahren war, von dem im selben Konzert ebenfalls zwei Werke aufgeführt wurden) spielten sich auch die Episoden mit Ida Buhz (Frauen) und Margarethe Boucher ab, in denen Muck und Anita, seine Frau, Bruckner vor übereilten Handlungen zu bewahren versuchten (Maier).

In seiner erhalten gebliebenen Dirigierpartitur (dem bei Gutmann erschienenen Erstdruck) der Siebenten hat Muck überaus gewissenhaft die von ihm vorgenommenen Änderungen jeweils mit Jahreszahl der Aufführungen in Graz, Prag und Berlin eingetragen, und da Bruckner bei den Proben in Graz und Berlin anwesend war, können diese Anweisungen als vom Komponisten sanktioniert oder zumindest akzeptiert angesehen werden. Abgesehen von Druckfehlerkorrekturen und dynamischen Angaben betreffen etliche Eintragungen die Instrumentation, und hier v. a. den Bläsersatz, der von zwei- auf dreifache Holzbesetzung, um ein zweites Hornquartett und vierte und fünfte Trompete erweitert sowie fallweise in Richtung „Mischklang“ umgebaut ist. Obwohl Muck immer wieder die peinlich genaue Beachtung des gedruckten Notentextes nachgesagt wird, hat er offensichtlich doch – wenn auch mit Wissen des Komponisten – in die Instrumentation eingegriffen, allerdings nicht durch Kürzungen in die Substanz des Werkes; wichtig war ihm die Realisierung der Intentionen des Komponisten.

Wie hoch Bruckner Muck schätzte, ist aus der Tatsache abzulesen, dass er dem in Wien weilenden Dirigenten vermutlich Anfang 1895 das Autograf der ersten drei Sätze der Neunten Symphonie zur Aufbewahrung übergab, „daß nix g‘schiacht dran“ (Auer 1936, S. 539), was sich wahrscheinlich auf die Praxis von Josef Schalk und Ferdinand Löwe im Umgang mit Kompositionen Bruckners bezog. Muck dirigierte die Neunte im Nicolai-Konzert der Wiener Philharmoniker am 4.3.1906. Am 26.2.1929 brachte er in Würzburger in den Huttensälen mit dem Orchester des Staatskonservatoriums die Fünfte zur Aufführung. Seine Verehrung und Freundschaft für Bruckner kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass er die Neunte in seinem letzten Konzert in Hamburg und die Siebente im Leipziger Gewandhaus am 30.11.1933 bei seinem Abschiedskonzert dirigierte.

Wenige Monate nach Bruckners Tod führte Muck mit der Königlichen Kapelle Berlin die Siebente beim 13. Schlesischen Musikfest in Görlitz auf. Muck hat sich seither immer wieder für Bruckner eingesetzt und zahlreiche Aufführungen seiner Werke (bevorzugt der Siebenten) dirigiert. Er wurde daher auch nach dem Tod Franz Schalks am 3.9.1932 Ehrenmitglied der 1927 gegründeten Internationalen Bruckner-Gesellschaft.

Mucks intensiver Einsatz für Bruckner und sein Rang als Dirigent seiner Werke wurden in zahllosen Kritiken immer wieder hervorgehoben. Ein Bericht über ein Konzert des Hamburger Philharmonischen Orchesters in Berlin am 9.10.1930 bezeichnet die Siebente als „eines jener Hauptwerke, mit dem die reiche Lebensarbeit des jetzt Einundsiebzigjährigen aufs engste verbunden ist. Die Darstellung dieser grandios einseitigen Ekstasen war kein Suchen mehr, war sicherste Tradition, von Bruckner dankbar sanktioniert. In den großen, breiten Brucknertempi ließ Muck Satz um Satz organisch aufwachsen und trotz der ekstatischen Schwere übersichtlich zusammenrücken.“ (Steinhagen, S. 120). Wie bereits ausgeführt, hat Muck im Einverständnis mit Bruckner Korrekturen der Instrumentation vorgenommen, aber niemals den Notentext verändert. „Muck kürzt keinen Bruckner!“ (Zinne 1929, S. 213).

Analog dazu hat er auch bei den Partituren Wagners keinerlei Striche zugelassen, auch im Sinne des Komponisten breite Tempi genommen. Muck, „nicht eigentlich ein ‚interessanter‘ Dirigent […] im Sinne des Publikumsgeschmacks“ (Zinne 1925, S. 671) war stets bemüht, durch genaues detailliertes Einstudieren, durch analytisches Studium der Partituren, Strenge als Orchestererzieher und zahlreiche Proben dem Ideal möglichster Authentizität gerecht zu werden.

Literatur

THEOPHIL ANTONICEK, INGRID FUCHS

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 21.1.2019

Medien

Kategorien

Abbildungen

Abbildung 1: Karl Muck, in: Neue Zeitschrift für Musik 96 (1929) H. 11, S. 696/2

Normdaten (GND)

Muck, Karl (Carl): 118584685

Links

ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft