Oberösterreich

Das Agrarland Oberösterreich, in das Bruckner 1824 hineingeboren wurde, war im 19. Jahrhundert geprägt von kulturellen, politischen, geografischen und nicht zuletzt wirtschaftlichen Umbrüchen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kam es in Folge der Bayerischen Erbfolgekriege 1779 zum Frieden von Teschen (Cieszyn/PL bzw. Český Těšín/CZ), der das Land um das bislang bayerische Innviertel vergrößerte. Um die Wende zum 19. Jahrhundert folgte die nächste kriegerische Auseinandersetzung, bei der Oberösterreich dreimal – 1800, 1805 sowie 1809 – zunächst von den Truppen des revolutionären Frankreich, dann vom Napoleonischen Kaiserreich besetzt wurde. Nach dem Wiener Kongress wurde das Innviertel, das zwischenzeitlich mit Teilen des Hausruckviertels erneut an Bayern abgetreten worden war, wieder an Oberösterreich angegliedert und das Gebiet des Salzburger Erzstiftes unter oberösterreichische Landesverwaltung gestellt.

Die revolutionären Ereignisse des Jahres 1848 gingen in Oberösterreich mit Ausnahme von Straßenkrawallen und der Vertreibung der Jesuiten aus ihrem Kloster am Freinberg relativ moderat und unblutig über die Bühne. Es kam in der Folge u. a. zur Aufhebung der Grundherrschaften, zum Ende der ständischen Verfassung sowie zur Neugestaltung der politischen Verwaltung und der Gerichte. 1861 wurde schließlich der erste oberösterreichische Landtag gewählt.

Noch vor dem Beginn der Dampfschifffahrt auf der Donau wurde 1832/36 die Pferdeeisenbahn als erste öffentliche Bahn Europas zwischen Linz und Budweis (České Budějovice/CZ) bzw. Gmunden eröffnet. Sie galt als Zeichen einer enormen Erleichterung des Transports und der Reisemöglichkeiten. Zu Beginn der 1860er Jahre lag Oberösterreich auf der durch die Kaiserin Elisabeth-Bahn erschlossenen Verbindung zwischen Salzburg und Wien. Ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es auch in Oberösterreich zu einer zunehmenden Industrialisierung und zur Gründung von Fabriken, etwa in Linz und Steyr. Im Salzkammergut entwickelte sich im Umfeld von Bad Ischl, 1849–1914 Sommerresidenz von Kaiser Franz Joseph I., die Sommerfrische mit touristischen Angeboten für den Hof, zunehmend aber auch für das Bürgertum. Im 19. Jahrhundert wurde zudem der Grundstein für die Kur- und Solebäder Oberösterreichs gelegt, etwa in Bad Ischl, Bad Hall, Gallspach oder (Bad) Leonfelden.

Bruckner war Zeitgenosse des oberösterreichischen Mundartdichters Franz Xaver Stelzhamer (1802–1874), des Schriftstellers Adalbert Stifter und des Linzer Malers Johann Baptist Reiter (1813–1890). Als Gegenreaktion des sogenannten „Vormärz“, der von Zensur und staatlicher Verfolgung geprägt war, bereitete die Biedermeierkultur mit dem Rückzug ins Private den Boden für ein reiches Kunstschaffen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde in Linz das Landestheater (1803) als wichtigste Bühne gegründet, zwanzig Jahre später mit der Eröffnung einer Gesangschule der Grundstein für die heutige Anton Bruckner Privatuniversität gelegt. 1863 bot man Bruckner erfolglos die Leitung der Musikschule an. Als weitere Landesinstitution wurde 1867 in Linz die Landesirrenanstalt Niedernhart als Vorläufer des Kepler Universitätsklinikum GmbH – Neuromed Campus eröffnet.

Mehr als die Hälfte seines Lebens, 44 Jahre, verbrachte Bruckner in seiner Heimat Oberösterreich. 1824 geboren in Ansfelden, kam er nach dem Tod des Vaters als Sängerknabe in das Stift St. Florian. Seine Mutter übersiedelte mit den Geschwistern nach Ebelsberg bei Linz. 1835 und nach dem Tod des Vaters 1837 hatte er sich bei seinem Cousin Johann Baptist Weiß in Hörsching aufgehalten. 1840 begann er seine Ausbildung zum Schulgehilfen an der Präparandie in Linz, nach deren Absolvierung er 1841 seinen ersten Posten als Schulgehilfe in Windhaag bei Freistadt antrat. 1843 wechselte er nach Kronstorf, von wo aus er Unterricht bei Leopold von Zenetti in Enns nahm. 1845–1855 wirkte er als Schulgehilfe, Privatlehrer der Sängerknaben sowie aushilfsweise in der Bezirksgerichtskanzlei und als Organist in St. Florian. Im Dezember 1855 übersiedelte er nach Linz, um seine Stelle als Dom- und Stadtpfarrorganist anzutreten. 1859 wurde ihm das Heimatrecht in Linz verliehen. 1858–1861 unternahm er erste Reisen nach Wien zu Simon Sechter, 1867 und 1868 hielt er sich zur Kur in Bad Kreuzen auf und machte Ausflüge nach Grein. Nach mehreren Versuchen, Linz zu verlassen, übersiedelte er 1868 nach Wien, um seine Stelle am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien anzutreten.

In Wien wurde Bruckner allerdings nie heimisch. Er entsprach nicht dem gängigen Künstlerbild, pflegte seinen Habitus, seine Frömmigkeit und seine oberösterreichische Lebensart (Persönlichkeit). 1924 schrieb Anton Riegl: „Aber den einen wird man uns Landlern nie absprechen, unsern Bruckner, denn trotz 28 Jahren Wiener-Fron – Wiener wurde er nie.“ (Linzer Volksblatt 4.9.1924, S. 1). 1980 stellte Johannes Leopold Mayer (* 1953) fest: „Wo sollte man einen Musiker, der aus dem, vom Blickpunkt Wiens aus gesehen, provinziellen Kronland ob der Enns kam, einordnen? Nun ist die Frage, ob sich Anton Bruckner in diese Gesellschaft überhaupt einordnen lassen wollte.“ (Mayer, S. 91).

Umso mehr blieb Bruckner nach seinem Weggang aus Linz seiner Heimat Oberösterreich verbunden, pflegte intensive Kontakte zu Familie und Freunden und verbrachte dort nicht nur seine Ferien (Urlaube), sondern auch dienstfreie Tage oder Feiertage, abseits der Verpflichtungen in der Großstadt Wien. So schrieb er im August 1881 an Pius Richter: „werde ich wohl meine sieben Zwetschken zusammen packen u[nd] nach St. Florian durchbrennen[,] wo ich meine Grillen nach Belieben auslassen kann“. (Briefe I, 810802). Als geselliger Mensch fühlte er sich in Gesellschaft seiner oberösterreichischen Freunde und Bekannten wohl und unternahm kleine Tagesreisen. Fast jedes Jahr hielt er sich im Stift St. Florian auf (vgl. Buchmayr). In Vöcklabruck besuchte er seine Schwester Rosalia Hueber und deren Familie. 1883–1893 war Bruckner fast jedes Jahr zu Gast in Stift Kremsmünster, wo er seinen Schüler P. Oddo Loidol besuchte, die Orgel spielte und Ausflüge ins Kremstal, nach Altpernstein, Kirchdorf an der Krems und Schlierbach unternahm. In den Jahren 1863 bis 1890 hielt sich Bruckner immer wieder mehrere Tage in Bad Ischl auf, wo er seinen Freund Johann Nepomuk Attwenger besuchte, in der Pfarrkirche die Orgel spielte (z. B. 1890 bei der Hochzeit von Erzherzogin Marie Valerie) und Ausflüge nach Bad Goisern, ins Gosautal und zum Hallstättersee machte. Er besuchte die Familie Mayfeld in Schwanenstadt, 1890 die Familie Weilnböck (Josefine Lang) in Neufelden und das Stift Wilhering.

Oberösterreich ehrte Bruckner schon früh: 1869 wurde er Ehrenmitglied der Welser Liedertafel, der Liedertafel „Frohsinn“ und des Linzer Diözesan-Kunstvereins, 1870 wurde er zum Ehrenbürger von Ansfelden ernannt: „Wir unterzeichnete Vertreter der Gemeinde Ihres Geburtsortes Ansfelden rechnen es uns schon lange zur größten Freude und Ehre an, daß wir Sie, Herr Professor, als einen unserer Gemeinde Entsprossenen, als ein Kind Ansfelden’s, als unsern lieben Landsmann, betrachten und schätzen können.“ (Briefe I, 701122). 1883 wurde er Ehrenmitglied der Liedertafel Vöcklabruck.

Anlässlich der Aufführung des Te Deums am 10.1.1886 erreichte Bruckner ein Schreiben oberösterreichischer Freunde aus seiner Zeit bei der Liedertafel „Frohsinn“ (Briefe I, 860118): „Lieber Landsmann! Hocherfreut, daß endlich die elende Wiener Musikantenclique gezwungen wurde, Deine geniale Begabung in Folge Deiner großartigen Erfolge im deutschen Reiche anzuerkennen, senden Dir die herzlichsten Glückwünsche aus treu-deutschem oberösterreichischen Herzen. Deine alten Freunde“.

Beim Festkonzert mit anschließendem Bruckner-Commers in Linz am 15.4.1886 bedankte sich Bruckner persönlich: „Der heutige Tag ist ein großer Tag. Mein heißgeliebtes Vaterland Oberösterreich hat sich heute meiner angenommen und es hat sich trotz der großen Erniedrigungen, die ich in drei Wiener Blättern erfuhr, meiner angenommen und hat heute mein ‚Tedeum’ in einer so ausgezeichneten Weise zur Aufführung gebracht, die ich nie vergessen werde.“ (Linzer Tages-Post 17.4.1886, S. 3). In seinem Dankbrief schrieb er: „Freundschaft und Liebe erflehe ich von allen meinen innigstgeliebten Österreichern! Die Liedertafel ‚Frohsinn‘ und ganz Oberösterreich lebe hoch, hoch, hoch!“ (Briefe I, 860420).

1889 schrieb der oberösterreichische Akademische Verein Germania anlässlich der Aufführung der Siebenten Symphonie am 24.2.1889 in Wien „zur Freude und zum Stolze unseres Heimatlandes, das sich rühmt, eine solche Zierde deutscher Kunst seinen Sohn zu nennen“ (Briefe II, 890302). 1890 erhielt Bruckner eine Ehrengabe des OÖ. Landtags, 1894 wurde er Ehrenbürger von Linz.

Seine Verbundenheit mit Oberösterreich zeigte sich auch in dem Wunsch, unter der Orgel der Stiftskirche von St. Florian begraben zu werden, was Bruckner in seinem Testament festlegte (Begräbnis). Falls das nicht möglich sei, sollte in Steyr für ihn eine Gruft gebaut werden.

Die Nachrufe der oberösterreichischen Zeitungen würdigten Bruckner als einen großen Sohn des Landes: „Die Tonkunst hat einen schweren Verlust erlitten und unser Heimatland einen seiner edelsten Söhne verloren.“ (Linzer Volksblatt 13.10.1896, S. 3); „da das Land mit Bruckner einen seiner größten und hervorragendsten Söhne verliert“ (Linzer Tages-Post 13.10.1896, S. 4); „so haben wir ihn denn verloren, den ruhmgekrönten Sohn unserer Heimat, der auch auf der höchsten Höhe seines Schaffens ein echter Oberösterreicher geblieben“ (Linzer Volksblatt 14.10.1896, S. 3).

Nicht nur in den Nachrufen wurde Bruckner als „oberösterreichische[r] Rusticus“ (Die Presse 13.10.1896, S. 2), als „oberösterreichischer Bauer“ (Fremden-Blatt 29.10.1896, S. 13), als „echtes Volkskind von bester oberösterreichischer Art“ (Wiener Zeitung 27.5.1883, S. 3) bezeichnet. Das Oberösterreichische wurde auch in seine Musik hineininterpretiert, vor allem in seine Scherzi. Noch 1921 schrieb Max Springer (1877–1954): „Bruckner ist ausgesprochener Heimatkünstler. Er ist Oesterreicher, Oberösterreicher.“ (Reichspost 11.10.1921, S. 1).

Bald nach Bruckners Tod initiierte der Linzer Gemeinderat auf Betreiben von August Göllerich eine Bruckner-Stiftung mit Festkonzerten zur Schaffung eines (allerdings nie errichteten) Bruckner-Denkmals (Denkmalprojekte). 1898 wurde das Bruckner-Denkmal in Steyr enthüllt. Es folgten weitere Gedenktafeln in den oberösterreichischen Brucknerorten (Gedenkstätten). Den ersten Gedenkveranstaltungen in Linz folgten bald Brucknerfeste, die in jenem von 1936 mit dem Titel „Kunst und Kultur in Brucknerland“ (Linz, St. Florian, Steyr) gipfelten und vor allem Landschaft und „Heimat“ in den Mittelpunkt stellten.

Im Hinblick auf das Jubiläumsjahr 2024 soll Bruckner als „starke Marke für Linz und Oberösterreich“ positioniert werden. „Sein Werk ist identitätsstiftend für Oberösterreich“, bemerkt dazu der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (* 1967).

Literatur

ANDREA HARRANDT, REGINA THUMSER-WÖHS

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 28.9.2020

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