Wienbibliothek im Rathaus

Eine im 14. Jahrhundert gegründete Stadtbibliothek, die auch Musikalien beherbergte, wurde 1780 an die Hofbibliothek (heute Österreichische Nationalbibliothek [ÖNB]) verkauft. 1856 erfolgte die Neugründung zunächst als Amtsbibliothek, aber schon bald wurde mit der Sammlung von Quellen zur Kulturgeschichte Wiens begonnen, die immer mehr an Bedeutung gewann und mit einer zunehmenden wissenschaftlichen Ausrichtung einherging. 1878 gelangte der Nachlass von Franz Grillparzer in die Bibliothek, 1900 wurde mit dem Legat Nicolaus Dumba (1830–1900) die Franz Schubert-Sammlung begründet. 1905 wurden die Handschriften- und die Musiksammlung eigene Organisationseinheiten. Dabei gilt eine strikte Materialtrennung: Briefe, Lebensdokumente u. dgl., auch von Musikern, werden von der Handschriftensammlung verwahrt, Notenhandschriften und -drucke von der Musiksammlung. 1863–1889 war die Stadtbibliothek mit dem Archiv der Stadt Wien (heute: Wiener Stadt- und Landesarchiv) zusammengelegt, 1889–1939 unter der Bezeichnung „Städtische Sammlungen“ mit dem Historischen Museum (heute: Wien Museum). 1976 erfolgte die Umbenennung in „Wiener Stadt- und Landesbibliothek“ (seit 1981 mit dem Pflichtexemplar-Recht für in Wien erschienene Druckwerke), 2006 in „Wienbibliothek im Rathaus“ (WBR).

1914 wurden von Hermine Hynais, der Witwe Cyrill Hynais’, die ersten Bruckner-Autografe erworben: vier Bögen zum Finale der Neunten Symphonie, ein Entwurf zu Helgoland, die Partituren zum Marsch für Orchester in d‑Moll und zur Ouvertüre in g‑Moll sowie eine Abschrift der Symphonie in f‑Moll („Studiensymphonie“) mit eigenhändigen Korrekturen Bruckners. 1918 wurde Alfred Orel Musikreferent. Obwohl mit der ÖNB ein Abkommen über das Vorkaufsrecht bei Autografen bedeutender Komponisten mit Wienbezug getroffen worden war, demzufolge Bruckner in die Kompetenz derselben fiel, erfolgte unter Orel ein planmäßiger Ausbau der Bruckner-Sammlung der WBR. Bei der Theater- und Musikausstellung der Stadt Wien im Herbst 1924 richtete die Musiksammlung der WBR mit Bezug auf das Bruckner-Jubiläum die Ausstellung Ernste Musik in Wien von Bruckner bis zur jüngsten Gegenwart ein. Im selben Jahr verkaufte Gisela Göllerich, die Witwe August Göllerichs, der WBR vier Entwurfsblätter zur Sechsten Symphonie und die autografe Partitur des Tafellieds. 1927 erwarb die WBR von Amalie Löwe, der Witwe Ferdinand Löwes, weitere Skizzen zur Neunten Symphonie. 1926, 1929 und 1937 erstand sie in den Antiquariaten V. A. Heck sowie Gilhofer & Ranschburg Harmonielehre-Studien, in Ersterem auch eine Abschrift des Präludiums für Harmonium in C‑Dur. 1938 schied Orel aus der WBR aus; jedoch gelangten später durch seinen Nachlass weitere Abschriften und Faksimiles von Kompositionen Bruckners dorthin. Als Folge der von den Nationalsozialisten erzwungenen Auflösung des Wiener Akademischen Wagner-Vereins gelangten 1939 auch Autografe des Trios aus dem Scherzo und des Finales der Vierten Symphonie, eine Abschrift derselben sowie eine Reihe von Briefen Bruckners in den Besitz der WBR. 1942 kamen durch den Vorlass Max von Millenkovichs eine Abschrift des Salvum fac mit eigenhändigem Aufführungsdauer-Vermerk Bruckners und das Autograf von Amaranths Waldeslieder an die WBR. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr die Bruckner-Sammlung der WBR nur noch wenige Ergänzungen; in Achtung der jeweiligen Sammelschwerpunkte ließ man nun der ÖNB bei der Erwerbung Bruckner‘scher Autografe den Vortritt. Als bislang letztes Bruckner-Autograf wurde 1995 ein Studienblatt aus dem Musikantiquariat Hans Schneider in Tutzing erworben. Daneben kaufte die WBR nach 1945 von Bruckners Schüler Johann Müller (1857–1924) aufgezeichnete Übungen zur Harmonielehre sowie Druckvorlagen zu Ausgaben bzw. Bearbeitungen Bruckner’scher Werke aus dem späten 20. Jahrhundert aus Doblingers historischem Handschriftenarchiv. Von den in der WBR aufbewahrten Briefen Bruckners sind insbesondere 24 Briefe an Rudolf Weinwurm und vier Briefe an Theodor Helm zu nennen. Die WBR verfügt weiters über Nachlässe bzw. Teilnachlässe der Bruckner-Schüler Carl Führich, Adolf Hirsch (Adolfi; 1866–1931), Carl Kratzl (1852–1904) und Ludwig Moser (1869–1938).

Literatur

THOMAS AIGNER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 11.1.2018

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ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft