Werkverzeichnisse

Historisch

Von Bruckners Hand existiert kein Verzeichnis seiner Werke. Lange Zeit konnten auch gar nicht alle Werke Bruckners systematisch erfasst werden, da viele in seinen eigenen Aufzählungen – so etwa im Testament ‒ nicht erwähnt werden.

Eine erste gedruckte Aufstellung findet sich in Dr. Anton Bruckner. Ein Lebensbild von Franz Brunner, eine Schrift, die noch zu Lebzeiten Bruckners 1895 aus Anlass der Enthüllung einer Gedenktafel am Geburtshaus Bruckners in Ansfelden erschien. Sie umfasst jedoch nur die bis zu diesem Zeitpunkt in Druck erschienenen Werke: Zweite, Dritte, Vierte, Siebente und Achte Symphonie, Streichquintett in F‑Dur, Te Deum, Messe in d‑Moll, Messe in f‑Moll, Psalm 150, Germanenzug und Helgoland. Mit Ausnahme des Germanenzuges sind jedoch nur die Klavierauszüge angeführt, weshalb sich diese Aufzählung wohl in erster Linie an einen privaten Interessentenkreis richtet und für das häusliche Musizieren gedacht war.

1903 legte der Verlag Doblinger ein 14 Seiten umfassendes Verzeichnis sämtlicher im Druck erschienener Werke von Anton Bruckner vor.

Franz Gräflinger veröffentlichte 1911 in seinem Buch Anton Bruckner. Bausteine zu seiner Lebensgeschichte ein relativ umfangreiches Werkverzeichnis, in dem er zunächst die gedruckten Werke, teilweise auch schon mit späteren Umarbeitungen, mit den Daten der Uraufführung – soweit bekannt – anführt. Im Anhang nennt Gräflinger auch zahlreiche ungedruckte Werke v. a. aus der Jugendzeit Bruckners. Die Ordnung der Werke erfolgt nach Gattungen (Sinfonien, Kammermusik, Kirchenmusik, Weltliche Chorwerke, Klavierwerke, Lieder), und als Abschluss bringt der Autor eine kursorische Behandlung der noch ungedruckten Werke.

Alfred Orels große Monografie Anton Bruckner. Das Werk – Der Künstler – Die Zeit erschien 1925. Sie enthält im Anhang in Tabellenform ein Verzeichnis Die Werke Anton Bruckners in systematisch-chronologischer Übersicht, das bereits höheren Ansprüchen Rechnung trägt. Allerdings litt Orels Arbeit unter dem Handicap, dass sich eine „Reihe bisher unbekannter früher Kompositionen Bruckners […] dem Vernehmen nach in Verwahrung Professor Max Auer‘s“ befanden und eine „Anfrage […] unter Hinweis auf den durch Max Auer zu bearbeitenden zweiten Band der Bruckner-Biographie Göllerichs ergebnislos“ blieb (Orel, S. 211). Bei Orel finden sich bereits Angaben zur Werknummer (er kennt insgesamt 109 Nummern), Titel, Besetzung, Entstehungszeit, Standort des Manuskriptes, Uraufführungsdaten und ‑dirigenten, Erstdruck sowie eine Spalte für Anmerkungen (Widmungsträger, Textdichter etc.). Die Systematik trennt, ähnlich wie bei Gräflinger, Orchester- und Kammermusik, Geistliche Musik, Weltliche Chorwerke sowie Parerga (kleinere Werke, Lieder, Klavierstücke etc.). In einer zusätzlichen Tabelle ordnet Orel die Werke nach ihrer Entstehungszeit.

Wesentlich dürftiger und wie ein Rückschritt mutet hingegen das Werkverzeichnis bei Robert Haas in seiner Monografie Anton Bruckner (1934) an, das nur eine halbe Seite umfasst. Allerdings verwies er auf die 1928 begonnene Gesamtausgabe, die zunächst bei Filser in Augsburg, ab 1934 im Musikwissenschaftlichen Verlag Wien, 1944–1952 in Wiesbaden, parallel dazu in Nachdrucken bei Breitkopf & Härtel in Leipzig und ab 1951 als Neue Gesamtausgabe in Wien erschien. Somit liefen zeitweise drei Gesamtausgabenprojekte gleichzeitig und trugen zur Verkomplizierung der Quellenlage erheblich bei.

Nicht minder hatte es aber auch schon Bruckner selbst getan, indem er an seinen Werken nachträgliche Umarbeitungen vornahm (Fassungen), die von kleineren Retuschen bis zur Neukomposition ganzer Sätze reichten – ganz abgesehen von den Eingriffen, die Schüler und Interpreten vornahmen.

Als dritte und letzte Ursache für die schwierige Ausgangslage muss schließlich der Umstand genannt werden, dass Bruckners Testamentsexekutor Theodor Reisch beim Sichten des schriftlichen Nachlasses offenbar zu der Meinung fand, nur die Fassungen „letzter Hand“ der Hauptwerke – oder was er selbst darunter verstand – gemäß Bruckners letztwilliger Verfügung als Legat an die k. u. k. Hofbibliothek (Österreichische Nationalbibliothek) übergeben zu sollen. Frühere Fassungen, Jugendwerke, Entwürfe und Skizzen etc. wurden zum Teil der Familie von Bruckners Schwester Rosalia (Bruckner, Familie) in Vöcklabruck übergeben, wurden als Erinnerung verschenkt und dabei sogar fallweise in kleine Teile zerschnitten. Als die Wohnung im Kustodenstöckl (Belvedere) wenige Tage nach Bruckners Tod versiegelt wurde, war das Unheil schon angerichtet.

Werkverzeichnis Anton Bruckner (WAB)

Die hier skizzierte extrem schwierige Quellenlage ließ 1974 während der Arbeiten an der großen Bruckner-Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek in Franz Grasberger und seiner Frau Renate Grasberger den Plan entstehen, die damals so zahlreich zur Verfügung stehenden Informationen zu verwerten und als eine erste Handreichung für Interpreten, Wissenschaftler und Musikliebhaber das Werkverzeichnis Anton Bruckner (WAB) zu erstellen. Durch die Großzügigkeit des Verlegers Hans Schneider in Tutzing konnten dem 1977 erschienenen Band zahlreiche Abbildungen von Erstdruck-Titelblättern beigegeben werden, was eine zusätzliche wertvolle Identifizierungsmöglichkeit ergab. Leopold Nowak sah das Manuskript vor der Drucklegung durch und konnte einige Ergänzungen beitragen. Das so entstandene Werkverzeichnis sah sich als eine erste Zusammenfassung aller damals bekannten Fakten und als Arbeitsbuch mit Raum für persönliche Eintragungen des Benützers. Es umfasst 149 Werknummern, gliedert nach bibliothekarischem Usus die Werke in Vokalwerke (geistlich, weltlich) und Instrumentalwerke (absteigend nach Besetzung) und bringt zu jedem Werk folgende Angaben: kurzes Incipit, Angaben zur Gattung (Antiphon, Motette etc.), Besetzung, Tonart, Entstehungszeit, Uraufführung, Erstdruck, Widmung, Textanfang, Textdichter und eventuelle Anmerkungen. Verschiedene hilfreiche Anhänge (eine Übersicht der Gesamtausgaben, weiterführende Literatur, eine Chronologie und ein Verzeichnis der Textanfänge) komplettieren den Inhalt.

Erfreulicherweise werden die WAB-Nummern in zunehmendem Maße in der Praxis (in Konzertprogrammen, auf CD-Covers, bei Rundfunkübertragungen etc.) verwendet.

Die im Internet auf www.abil.at und www.antonbruckner.at verfügbaren Werkverzeichnisse gehen fast ausschließlich auf das WAB von 1977 zurück.

Digitales Werkverzeichnis Anton Bruckner

Zu den vorrangigen Arbeitsprojekten der Bruckner-Forschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gehörte eine ergänzte, verbesserte und wesentlich erweiterte Neubearbeitung des Werkverzeichnisses. Hier wurde im Rahmen des von Robert Klugseder (* 1969 Aidenbach, Bayern/D) geleiteten Projekts Digitales Werkverzeichnis Anton Bruckner 2017–2019 ein digitales, multimediales neues Werkverzeichnis erarbeitet. Vorarbeiten (inkl. Revidierung der WAB-Nummern) lagen von Erich Wolfgang Partsch und Konrad Antonicek vor. Das seit Mai 2019 auf www.bruckner-online.at verfügbare Werkverzeichnis, das diese Vorarbeiten sowie die 2010 von Dominique Ehrenbaum publizierte Werkübersicht berücksichtigt, sowie die Werkartikel des Anton Bruckner-Lexikon online bieten den derzeit aktuellsten Überblick über Bruckners Œuvre.

Literatur

RENATE GRASBERGER, ELISABETH MAIER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 21.3.2023

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