Bruckner, (Joseph) Anton

* 4.9.1824 Ansfelden, Oberösterreich/A, † 11.10.1896 Wien/A. Komponist.

Ältestes Kind des Schullehrers und Kirchenmusikers Anton Bruckner d. Ä. und seiner Frau Theresia, geb. Helm (Bruckner, Familie). Auch Anton d. J. sollte den Lehrberuf ergreifen, zeigte er doch schon im Kindesalter große musikalische Begabung. Nach dem ersten Musikunterricht durch den Vater versah Bruckner im Alter von zehn Jahren bereits Orgeldienste im Gottesdienst.

1835–1845 Jugendjahre, Ausbildung
Ab 1835 erhielt Bruckner für zwei Jahre Unterricht im Orgelspiel und Generalbass durch Johann Baptist Weiß in Hörsching; hier entstanden auch die ersten Kompositionen. Nach dem frühen Tod des Vaters (1837) und der damit verbundenen angespannten finanziellen Situation der Familie erhielt Bruckner dank seiner Musikalität eine der drei Sängerknaben-Plätze im Stift St. Florian. Nach Abschluss der Volksschule absolvierte er 1840/41 an der Linzer Präparandie die Ausbildung zum Lehrer und trug nach dem Antritt seines ersten Dienstpostens als Schulgehilfe in Windhaag bei Freistadt (1841–1843) mit seinem Einkommen zum Erhalt der Familie bei. Weitere Anstellungen als Lehrer führten ihn nach Kronstorf (1843–1845) und St. Florian. Parallel zur Lehrerausbildung genoss Bruckner eine solide musikalische Bildung bei Michael Bogner, Johann August Dürrnberger, Franz Gruber, Anton Kattinger, Franz Raab und Leopold von Zenetti.

1845–1855 St. Florian
Ab September 1845 war Bruckner als 1. Schulgehilfe in St. Florian tätig. Nebenbei wirkte er als Privatlehrer der Sängerknaben, als Stiftsorganist und Aushilfe in der Bezirksgerichtskanzlei, zudem arbeitete er unermüdlich an seiner musikalischen Weiterbildung – einerseits im Selbststudium anhand der Musikalien der reichhaltigen Stiftsbibliothek, andererseits bei Zenetti in Enns. Seine Freizeit verbrachte er mit dem Florianer Quartett, als Tanzgeiger (Tanz und Tanzmusik, Volksmusik) sowie als Klavierlehrer. Auf dem Gebiet der Komposition entstanden kleinere Klavierwerke und Lieder für seine Schülerinnen und Schüler sowie Messen, Kantaten, Männerchöre und Männerquartette, die er für Geistliche, Vorgesetzte oder Freunde schrieb (Widmungsträger). In St. Florian trug sich Bruckner auch mit dem Gedanken, eine Beamtenkarriere einzuschlagen; seine Bewerbung um eine Kanzleistelle blieb jedoch erfolglos. Sukzessive rückte eine Musikerkarriere in den Fokus.

1855–1868 Linz
Bruckner nahm ab Juli 1855 weiteren Unterricht in Musiktheorie bei Simon Sechter in Wien, wofür er die Reichshaupt- und Residenzstadt des österreichischen Kaiserstaates jeweils für mehrere Wochen besuchte. Seine Tätigkeit als Schullehrer gab er zugunsten der (nach erfolgreichem Probespiel) erhaltenen Organistenstelle an der Stadtpfarrkirche und am Alten Dom in Linz auf und wurde zum vor allem für seine Improvisationen geschätzten Berufsmusiker. Seine Kunstfertigkeit an der Orgel ließ er sich gerne mit Zeugnissen bestätigen: z. B. legte er 1854, 1858 und 1861 Prüfungen im praktischen Orgelspiel in der Wiener Piaristenkirche ab und beeindruckte die jeweiligen Kommissionsmitglieder (u. a. Ignaz Assmayr, Gottfried Preyer, Joseph Hellmesberger d. Ä. und Johann Herbeck). In der oberösterreichischen Landeshauptstadt knüpfte er einerseits Kontakte mit den Sängern der Liedertafel „Frohsinn“, mit der er Sängerfeste besuchte und hierfür entsprechende Chormusik komponierte sowie 1860/61 und 1868 deren Chormeister war, und andererseits mit den Kapellmeistern Otto Kitzler sowie Ignaz Dorn, in deren Unterricht Bruckner mit Werken von Richard Wagner, Franz Liszt und Hector Berlioz bekannt wurde (Neudeutsche Schule). In der Linzer Zeit entstanden die Messe in d-Moll und nach deren erfolgreicher Aufführung die 1. Fassungen der Ersten Symphonie, Messe in e-Moll und Messe in f-Moll.

Nach dem jahrelangen Lernen und Feilen an seiner Karriere befand sich Bruckner plötzlich „in dem schrecklichsten Zustande“, mit „Irrsinn als mögliche Folge“ (Briefe I, 670619), wie er Rudolf Weinwurm berichtete. Zwei Kuraufenthalte in Bad Kreuzen (1867, 1868) brachten diesbezüglich Abhilfe.

1868–1896 Wien
Nach erfolglosen Bewerbungen um eine Anstellung in Salzburg (1861 als Direktor des Dom-Musik-Vereines, 1868 als Domkapellmeister bzw. artistischer Direktor des Mozarteums) gelang es Bruckner schließlich in der Musikstadt Wien Fuß zu fassen. Nach dem Tod seines Lehrers Sechter wurde Bruckner 1868 (zunächst exspektierender) Hoforganist und erhielt im selben Jahr dessen Stelle als Professor für Musiktheorie am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. In der Hofmusikkapelle übernahm er (1875) die Arbeiten des Vizearchivars und war 2. Singlehrer der Sängerknaben. Vermutlich durch Protektion Herbecks wurde Bruckner 1870–1873 Hilfslehrer für den Unterricht in Klavier-/Orgelspiel und Harmonielehre an St. Anna, auf Fürsprache des Unterrichtsministers Karl Anton Franz von Stremayr erhielt er die Stelle als Lehrer für Harmonielehre und Kontrapunkt an der Universität Wien, nachdem auf Eduard Hanslicks Empfehlung mehrere Abweisungen der Bewerbung vorangegangen waren. Für den akademischen Unterricht (1876–1894) bezog Bruckner – abgesehen von einer Remuneration – kein Gehalt; um seine Finanzen aufzubessern erteilte er (wie auch schon in seinen früheren Wirkungsstätten) Privatstunden, die er sich gut bezahlen ließ. Die Verleihung des Ehrendoktorats der Universität Wien (1891) – nicht für seine Lehrtätigkeit, sondern für sein musikalisches Œuvre – stellte für Bruckner einen Höhepunkt in seiner Karriere dar, war doch „Symphoniker“ stets sein „Lebensberuf“ (Briefe II, 911019). Dieser Eigenwahrnehmung entsprechend vermachte Bruckner die seines Erachtens bedeutenden Manuskripte – darunter jene der Symphonien und der großen Messen – per Testament der k. k. Hofbibliothek (Österreichische Nationalbibliothek, Autografe).

Auch in Wien pflegte Bruckner seine Beziehungen zu Gesangvereinen (z. B. zum Wiener Akademischen Gesangverein, Wiener Männergesang-Verein, Wiener Schubertbund, Wiener Akademischen Wagner-Verein), deren Ehrungen er aufgrund der damit verbundenen gesellschaftlichen Wertschätzung gerne annahm.

Bruckner setzte sich mit der Gattung Symphonie erst ab seinem 39. Lebensjahr auseinander: im Rahmen seiner Ausbildung entstand 1863 die als Schularbeit eingestufte Symphonie in f-Moll („Studiensymphonie“), die Linzer Fassung seiner Ersten komponierte Bruckner 1865/66. Die 1869 entstandene Symphonie in d-Moll schloss er selbst aus seinem symphonischen Schaffen aus (möglicherweise aufgrund einer kritischen Bemerkung des Dirigenten Felix Otto Dessoff), sodass die 1871/72 geschriebene Symphonie als Zweite gezählt wird, nachdem der Symphonie-Entwurf in B-Dur vom Oktober 1869 wieder beiseitegelegt wurde. 1872/73 arbeitete er an der Dritten und 1874 an der Vierten, die Fünfte folgte 1875/76. Ein durchschlagender Erfolg wollte sich aber nicht so recht einstellen und Bruckner begann 1876–1878 mit Umarbeitungen der bisherigen Symphonien sowie der drei großen Messen (Metrik, metrische Ziffern). Ansonsten spielten in Bruckners früheren Schaffensperioden Revisionen von Werken fast keine Rolle, auch unautorisierte Abänderungen in Partituren lassen sich vor den Wiener Jahren nicht nachweisen (Arbeitsweise und Schaffensprozess). Die Arbeit an der Sechsten nahm wesentlich mehr Zeit in Anspruch (1879–1881) und auch die Siebente entstand in einem Zeitraum von zwei Jahren (1881–1883); wesentliche Korrekturen blieben hier aus. Mit der Siebenten gelang Bruckner der internationale Durchbruch als Symphoniker. Die Achte Symphonie komponierte Bruckner von 1884 bis 1887, sie beschäftigte ihn aber weiter bis 1890. Gleichzeitig begann Bruckner die Neunte (1887–1894: 1.–3. Satz, ab 1895: 4. Satz), wobei er das Finale nicht mehr fertigstellen konnte (Krankheiten und Tod Bruckners). Mehrere Forscher, Musiker und Dirigenten versuchten sich ab den 1930er Jahren an Vervollständigungen des Schlusssatzes.

Bruckner bediente in seiner Wiener Schaffenszeit aber auch andere musikalische Gattungen: So entstand auf Wunsch von J. Hellmesberger d. Ä. 1878/79 das Streichquintett in F-Dur (sowie zusätzlich das Intermezzo in d-Moll). Bis auf kammermusikalische Aufgabenstellungen während seiner Studien bei Kitzler (u. a. Streichquartett in c-Moll) blieb das Quintett aber die einzige Auseinandersetzung mit dieser Gattung. Bruckner komponierte des Weiteren Motetten und Graduale (u. a. Christus factus est, Locus iste; Kirchenmusik), die sowohl in Linz als auch in der Wiener Hofburgkapelle aufgeführt wurden, das Te Deum und den Psalm 150, sowie mehrere weltliche Chöre (Werkverzeichnisse, Gesamtausgaben).

Musikhistorisch zählt Bruckner (wie auch Gustav Mahler) mit einem monumentalen und formalen Konzept der Symphonien und an Wagner orientierter Harmonik zu den Innovatoren im Vorfeld der Neuen Musik. Verwendet wurden immer wieder ein bestimmtes rhythmisches Grundmuster mit vielfacher Wiederholung (Bruckner-Rhythmus), dynamische Kontraste und scharfe Zäsuren sowie Zitate aus eigenen oder fremden Werken. Weitgespannte melodische Bögen, ostinatoartig wiederholte Motive und Klangflächen mit Tremoli unterstützen den Eindruck des Großen (Stilmerkmale). Die registerartige Instrumentation wird auf die Orgel, mit der er seit Kindertagen arbeitete, zurückgeführt. Kopfsätze und Finali folgen der Sonatenhauptsatzform, die Prinzipien der langsamen Sätze und Scherzi – nach dem Modell der Liedform – treten bereits in den Kopfsätzen hervor (Form in Bruckners Symphonien).

Als Professor am Konservatorium und Dozent an der Universität gehörte Bruckner eigentlich dem Bildungsbürgertum an, blieb diesem am Ende aber fremd. Aus Erinnerungsberichten (Anekdoten, Biografien, Nekrologe) erfahren wir, dass Bruckner in Wien nie heimisch wurde, sondern seine oberösterreichische Lebensart samt Frömmigkeit pflegte (Persönlichkeit). In seinen Briefen tritt er immer wieder als devoter, aber selbstbewusster Bittsteller auf, der auf die Unterstützung von geistlichen, aristokratischen oder musikalischen Autoritäten hoffte (Mäzene); diese Gönner sind aber – abgesehen von Angehörigen des Kaiserhauses – vornehmlich in den ländlichen Provinzen zu suchen, weniger in der Wiener Ringstraßen-Gesellschaft. Intellektuellen Zirkeln blieb er mit Ausnahme von geselligen Runden inmitten seiner Studenten fern. Ob er eine der bürgerlichen Welt entsprechende Ehe und Familie tatsächlich in Betracht zog – die zahlreichen Schwärmereien und Heiratsanträge würden dafür sprechen (Frauen) – bleibt unklar. Der Eintritt in die Salons der Wiener Gesellschaft blieb mangels Kammermusik, die dort vorwiegend rezipiert wurde, aus. Um seine Symphonien einem breiteren Publikum näher zu bringen, wurden Bearbeitungen für Klavier von Bruckner-Schülern bzw. -Freunden angefertigt und z. B. in Musikabenden des Wiener Akademischen Wagner-Vereines vorgetragen. Nach der Linzer Aufführung des Tannhäuser, die Bruckner auf Einladung von Kitzler besuchte, begeisterte ihn fortan Wagners Musik (mit dessen Libretti, philosophischen oder antisemitischen Schriften hat sich Bruckner nie beschäftigt). Wagner nahm die Widmung der Dritten Symphonie Bruckners an und Bruckner trat dem Wiener Akademischen Wagner-Verein bei – er galt nun als „Wagnerianer“ und konnte sich dem (vor allem in Printmedien und Konzertsälen ausgetragenen) Konflikt mit der konservativen Richtung (und deren wichtigsten Vertretern Hanslick und Johannes Brahms), die ihn zum Wagner-Epigonen erklärte, nicht mehr entziehen. Bruckner wurde indes nicht müde in Briefen an seine Freunde zu beklagen, dass die polemische Musikkritik seinen Erfolg verhindere. Einer der wenigen Befürworter in der Wiener Presse war Johann Paumgartner, der sich aus ehrlicher Überzeugung für den Komponisten einsetzte. Bruckners Musik wurde von Wagner-Anhängern aller Couleur, von (deutschnationalen) Studenten, dem politischen Lager der Christlich-Sozialen und zuletzt von den Nationalsozialisten als Inbegriff deutscher Musik vereinnahmt (Zeitgeschichte).

In den Ferien fuhr Bruckner zur Erholung nach Oberösterreich (z. B. Steyr), wo er Familie, Freunde und Bekannte besuchte, Orgelkonzerte gab, aber auch die Ruhe zum Komponieren fand. Wenige Auslandsreisen führten ihn nach Bayreuth, Berlin und in die Schweiz sowie zu Orgelkonzerten nach Nancy, Paris und London. Wenn er auch nur wenige Orgelwerke hinterließ, so wirkte Bruckner zeitlebens als Organist und konnte als Improvisator große Erfolge verbuchen.

Dass er nicht am Wiener Zentralfriedhof, sondern, wie er in seinem Testament verfügte, in St. Florian – und wenn das nicht möglich wäre, in Steyr – begraben werden wollte, zeigt einmal mehr die Verbundenheit mit seiner Heimat. Nach der Einsegnung in St. Karl Borromäus (4. Bezirk, Wien) erfolgte die Überstellung nach Oberösterreich (Begräbnis).

Bruckner-Kenner, -Forscher und die zahlreichen Bruckner-Gesellschaften organisieren seit dem frühen 20. Jahrhundert Brucknerfeste und -feiern, Symposien und Tagungen, Ausstellungen und Konzerte, setzen sich für die Errichtung und Bewahrung von Denkmälern ein, teilen ihre neuesten Forschungsergebnisse in einschlägigen Publikationsreihen und Periodika mit und berichten über die Rezeption der Bruckner-Werke weltweit. Bemerkenswert ist die Fülle an ikonografischem Material zu Bruckner, wie Briefmarken, Karikaturen, Medaillen oder Schattenbilder.

Literatur

ANDREA SINGER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 7.10.2020

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Abbildungen

Abbildung 1: Bruckner-Stern vor dem Wiener Musikverein (© Andrea Singer)

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ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft